Geflügelgroßschlachthof-Klage abgewiesen
NABU bedauert Entscheidung des Verwaltungsgerichts



Kreativer Protest gegen Geflügelhaltung auf der Wir-haben-es-satt-Demo in Berlin. - Foto: Elke Meier
13. Juli 2012 - Dies geht aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg hervor, das den Beteiligten am 10. Juli zugestellt worden ist (Urteil vom 28. Juni 2012, Aktenzeichen: 2 A 111/11).
Unzumutbarer Lärm für die Nachbarschaft sei nicht zu erwarten, befanden die Richter. Der Ammoniak- und Stickstoffausstoß werde nach einem Gutachten nicht überschritten. Schwebstoffe und Stäube würden durch eine spezielle Abluftreinigung zurückgehalten. „Medizinisch begründete Immissionsgrenzwerte für Bioaerosole gibt es nicht“, erklärten die Richter ergänzend. Auch bauplanungsrechtliche Bedenken bestünden nicht.
Der NABU bedauerte die Entscheidung und sieht nach wie vor zahlreiche, schädliche Auswirkungen auf ‚Mensch und Natur’. Die 32-seitige Urteilsbegründung wird geprüft und danach überlegt, ob Revision einlegt wird.
Im Urteil hat das Gericht ausgeführt:
‚Unzumutbarer Lärm für die Nachbarschaft ist nicht zu erwarten. Aufgrund eines Schallgutachtens vom Januar 2010 führt der erhöhte Verkehr nicht zu einer Überschreitung der maßgeblichen Werte, auch der durch den Schlachthof selbst erzeugte Lärm liegt unter den Werten für eine Wohnbebauung. Der von der Behörde begrenzte Ammoniak- und Stickstoffausstoß wird nach einem Immissionsgutachten nicht überschritten. Aus vergleichenden Kontrollmessungen bei einem anderen Geflügelschlachthof lässt sich ableiten, dass auch in Wietze keine erheblichen unzuträglichen Immissionen zu erwarten sind. Soweit der NABU rügt, dem Tierschutz sein nicht hinreichend Rechnung getragen worden, ist unklar, welche Gesichtspunkte die Behörde unzureichend geprüft haben soll. Soweit es den vom NABU gerügten fehlenden Notfallplan für Havarien betrifft, so wird dieser Plan nach Betriebsaufnahme mit den zuständigen Behörden und der Feuerwehr erstellt und abgestimmt. Die ausgestoßenen Bioaerosole, nämlich luftgetragene Schadstoffe wie Stäube, Pilzsporen, Mikroorganismen, die sich nachteilig auf die menschliche Gesundheit auswirken könnten, werden durch eine spezielle Abluftreinigung zurückgehalten. Medizinisch begründete Immissionsgrenzwerte für Bioaerosole gibt es nicht. In Tierhaltungsanlagen werden die Bioaerosole bestimmt durch Futterart, Einstreu, Tieraktivität, längere Reinigungsabstände, in dem Schlachthof hingegen sind die zu erwartenden Immissionen weitaus geringer, zumal die Anlagenkomponenten täglich gereinigt werden. Bauplanungsrechtliche Bedenken gegen den Betrieb bestehen nicht, die streitige Baugenehmigung wurde vor dem Wirksamwerden des Bebauungsplanes erteilt und war mit dem Planungsstand in vollem Umfang vereinbar. Ein spezielles Raumordnungsverfahren musste nicht durchgeführt werden, vielmehr ist der Flächennutzungsplan den Zielen der Raumordnung angepasst, und die Fläche in Wietze ist die einzige im Kreisgebiet für eine derartige Schlachtanlage. Für eine besondere Keimbelastung beim Tiertransport selbst außerhalb des Schlachtbetriebes gibt es keine konkreten Anhaltspunkte, und für eine Kläranlage gibt es eine gesonderte wasserrechtliche Erlaubnis.’
Die Überprüfung der Frage, ob der bei Realisierung der Anlage erfolgte Verzicht auf sechs von zehn vorgesehenen Schornsteinen genehmigungsrechtlich in Ordnung ist, ist nach wie vor offen. Diese Frage kann und wird unabhängig vom Klageverfahren weiterverfolgt werden, betonte der NABU.
Zur Pressemitteilung
Gewerbeaufsichtsamt erteilte „Dummy-Genehmigung“
NABU-Klage gegen Geflügel-Großschlachthof in Wietze (Landkreis Celle)
28. Juni 2012 - Heute wurde vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg die Klage des NABU gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Geflügel-Großschlachthofes Wietze verhandelt.
Zur Überraschung aller Beteiligten stellte sich im Verfahren heraus, dass der seit September 2011 betriebene Schlachthof in der realisierten Baustruktur deutlich von den Genehmigungsvorgaben und den Genehmigungsunterlagen abwich. Während in der Genehmigung zehn Schornsteine für die Abluft der verschiedenen Betriebsbereiche vorgesehen waren, wurde der Schlachthof tatsächlich nur mit vier Schornsteinen im Bereich des Annahmebereichs gebaut. Dies war dem Gutachter des NABU zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung aufgefallen.
Der anwesende Vertreter des Gewerbeaufsichtsamtes Celle erklärte daraufhin vor Gericht, dass derartige Abweichungen bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren nicht unüblich seien. Genehmigt würden regelmäßig nur „Dummys“, während die realisierten Anlagen dann häufig ganz anders aussähen.
Aus Sicht des NABU Niedersachsen kann es jedoch nicht sein, dass unter Ausschluss und ohne in Kenntnissetzung der Öffentlichkeit eine Anlage realisiert wird, die bautechnisch gravierend von der genehmigten Anlage abweicht, die Gegenstand eines öffentlichen Beteiligungsverfahrens und der Genehmigung war. „Dies gilt insbesondere für sehr umstrittene Anlagen wie die hiesige in Wietze“, erklärte der NABU Niedersachsen. Dem Sinn der Öffentlichkeits- und Verbandsbeteiligung werde jedwede Grundlage entzogen und diese „auf den Kopf gestellt“, wenn in der Praxis andere Anlagen realisiert werden als genehmigt und bekannt gemacht wurde, unterstrich der NABU Niedersachsen.
Es kann in keiner Weise ausgeschlossen werden, dass durch die geänderte Bauweise Belastungen und Nachteile für die Anwohner und die Umwelt entstehen, die auf diese Art und Weise vollständig der vorgesehenen Überprüfung durch die betroffene Bürger und Umweltverbände entzogen werden.
Es hätte daher aus Sicht des NABU Niedersachsen zwingend eine Information und Offenlegung hinsichtlich der vorgenommenen bautechnischen Änderungen und ihrer Auswirkungen geben müssen. Der NABU wird wegen der zurzeit nicht überschaubaren Auswirkungen der Änderungen auf die Immissionen des Betriebes vorsorglich einen Stilllegungsantrag beim zuständigen Gewerbeaufsichtsamt stellen und das Gewerbeaufsichtsamt zur Übersendung der maßgeblichen Unterlagen auffordern. Sofern auf diesem Wege keine hinreichende Klärung möglich ist, wird gegebenenfalls auch gerichtlich eine Stilllegung des Anlagenbetriebes beantragt werden.
Themen der heutigen Verhandlung waren vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg unter anderem die Frage der Gefährdung von Anwohnern durch Keimbelastungen aus dem Schlachthof und aus den Tiertransporten zum und vom Schlachthof, Fragen zu den emittierten Stickstoffmengen und hieraus resultierenden Belastungen der den Schlachthof umgebenden Wälder und sonstiger Ökosysteme sowie diverse Fragen des Raumordnungs- und Bauplanungsrechts. Das Urteil des Gerichts soll in etwa zwei Wochen ergehen.
Klageerweiterung gegen Geflügel-Großschlachthof
Bebauungsplan ist nichtig - Betrieb unzulässig
08. September 2011 -
Im Klageverfahren gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Geflügelschlachthofes Wietze (Landkreis Celle) hat der NABU eine Ergänzung seiner Klagebegründung vorgelegt. Nach der rechtlichen Einschätzung des NABU Niedersachsen ist der der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zugrunde liegende Bebauungsplan der Gemeinde Wietze für den Geflügelschlachthof nichtig.
„Einen gültigen Bebauungsplan gibt es nicht. Aus diesem Grunde fehlt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zurzeit das rechtliche Fundament, so dass sie sich als rechtswidrig darstellt. Das zuständige Gewerbeaufsichtsamt ist daher nach unserer Rechtsauffassung aufgrund seiner Bindung an Recht und Gesetz eigentlich gehalten, einen Betrieb des Geflügelschlachthofes zu untersagen“, erklärte NABU-Landesvorsitzender Dr. Holger Buschmann.
Ohne eine erneute Entscheidung des Gemeinderates der Gemeinde Wietze über den nichtigen Bebauungsplan kann der Geflügelschlachthof überdies auf Dauer nicht rechtmäßig betrieben werden. Es liege daher an den Einwohnern von Wietze anlässlich der bevorstehenden Kommunalwahl durch ihre Wahlentscheidung auf die Positionierung des Gemeinderates Einfluss zu nehmen, betonte Dr. Holger Buschmann.
Geflügelgroßschlachthof in Wietze
NABU Niedersachsen reicht Klage ein
23. Juni 2011 - Gegen den Geflügelgroßschlachthof in Wietze (Landkreis Celle) hat der NABU Niedersachsen seine Klage beim Verwaltungsgericht Lüneburg begründet. Der Genehmigungsbescheid des Gewerbeaufsichtsamtes Lüneburg vom 15. Juli 2010 ist nach Auffassung des NABU rechtswidrig und verstößt gegen die Schutz- und Vorsorgegrundsätze des Bundesimmissionsschutzgesetzes. Der BUND Niedersachsen unterstützt die Klage inhaltlich.
Der Geflügelgroßschlachthof wurde mit zwei Schlachtlinien in einer Gesamtkapazität von 27.000 Hähnchen pro Stunde genehmigt. Dies entspricht 432.000 am Tag, 2.592.000 Hähnchen pro Woche und insgesamt 134,8 Millionen Hähnchen pro Jahr, die dort geschlachtet werden können.
Der NABU Niedersachsen hat seine Klage mit fehlenden Aussagen zu Schwebstoffen mit krankheitserregenden Keimen und Stäuben und ihrer Gefährdung der menschlichen Gesundheit, unzureichenden Regeln zum Betriebs- und Verkehrslärm sowie betriebsbedingten Stickstoffeinträgen in die Landschaft und die Gewässer sowie fehlenden Brandschutzanforderungen begründet.
Dr. Holger Buschmann, NABU-Landesvorsitzender Niedersachsen, erklärt: „Schlachthof und Massentierhaltung gefährden unsere Umwelt, schädigen die Natur, reduzieren die Biodiversität und beeinträchtigen die Gesundheit von Anwohnern und Menschen in der Region. Für viele Menschen ist Biodiversität ein abstrakter Begriff, aber tatsächlich erleben sie seine Bedeutung alltäglich konkret, denn es ist die Vielfalt der Tiere, Pflanzen, Pilze und Mikroorganismen, die für sauberes Wasser sorgen und für frische Luft, die ein angenehmes Klima schaffen und fruchtbare Böden für gesunde Nahrungsmittel. Und diese Vielfalt ist auch die Voraussetzung für eine schöne, abwechslungsreiche Landschaft des Aller-Tals, über deren Anblick sich jeder Mensch freut.“
Nach Auffassung des NABU fehlen in der Schlachthofgenehmigung Aussagen zu den entstehenden Belastungen von Mensch und Umwelt durch Stäube und Schwebstoffe sowie durch antibiotikaresistente und krankheitsfördernde Keime:
- Durch den Betrieb gewerblicher Tierhaltungsanlagen gelangen permanent verschiedene Schadstoffe wie Feinstaub, Ammoniak, Schwebstoffe etc. in die Luft. Diese werden von den Menschen über die Atemwege aufgenommen. Dadurch erhöht sich das Risiko von Atemwegserkrankung. Die Gefahr von Krebserkrankungen wird ebenfalls erhöht. Außerdem können mögliche Vorerkrankungen verschlechtert werden.
- Die Keimbelastungen sowohl durch Tiertransporte auf dem Betriebsgelände als auch in dessen Nachbarschaft hätten im Zusammenhang betrachtet werden müssen.
- Eine Prüfung des Summenpegels aller Lärmquellen fehlt.
- Ein Prognosegutachten zu den Stickstoffbelastungen, nicht zuletzt auch aufgrund von möglichen Freisetzungen durch das Ammoniakkühlsystems der Schlachtanlage, wurde nicht erstellt.
- Zudem sind Langzeitmessungen zu Ammoniak und Stickoxidemissionen vor und bei Betrieb der Anlage festzulegen, um den Schutz- und Vorsorgegrundsätzen Rechnung zu tragen. Der alleinige Verweis auf den Stand der Technik bei der Kläranlage ist allein schon aufgrund des Verschlechterungsverbotes der Gewässer und des NATURA-2000 Schutzgebietes 'Aller mit Barnbruch' unzureichend.
- Der mögliche Einbau einer Keimrückhaltungsanlage blieb unberücksichtigt. Außerdem wird das Gewässer auch nicht hinreichend gegen den Eintrag von Antibiotika geschützt.
- Es fehlen rechtlich ausreichende Anforderungen zur Tierrettung im Brandfall.
„Unsere Klage basiert auf dem Recht der Umweltverbände als 'Anwalt für Mensch und Natur' auch immissionsschutzrechtliche Genehmigungen zu Großvorhaben gerichtlich überprüfen zu lassen. Diese Möglichkeit wurde am 12. Mai des Jahres mit einer wichtigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes beträchtlich erweitert“, erklärt Dr. Frank Niederstadt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, der den NABU Niedersachsen vertritt.
Hintergrund
Genehmigt wurden vom Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg für den Geflügelgroßschlachthof in Wietze (Landkreis Celle) zwei Schlachtlinien mit einer Gesamtkapazität von 27.000 Hähnchen pro Stunde. Dies sind 432.000 am Tag, 2.592.000 Hähnchen pro Woche und insgesamt 134,8 Millionen Hähnchen pro Jahr, die dort geschlachtet werden können. Um diesen geplanten Bedarf zu decken, müssten allein im Umkreis von 100 Kilometern 420 neue Mastanlagen mit Stallplätzen für jeweils 40.000 Tiere gebaut werden. Die Tiere werden dann per LKW zum Schlachthof transportiert und dort pro Tag 72 LKW-Ladungen Lebendhühner verarbeitet. Das entspricht einer Gesamtbelastung von 386 LKW-Fahrten, durch An- und Abtransporte von Schlachttieren und Fertigprodukten mit den erforderlichen Leerfahrten, täglich. Die benötigte Wassermenge pro Huhnschlachtung beträgt acht Liter Trinkwasser.