Wir haben Artenverlust, Vermaisung und Überdüngung satt
Was sich in der Landwirtschaftspolitik ändern muss



Küken der Diepholzer Gans - Bild: NABU Bremen
Niedersachsen ist Agrarland Nr. 1 in Deutschland. Hier leben mehr Schweine als Menschen. Auf knapp 8 Millionen Einwohner kommen 61 Millionen Masthühner. Hier wird fast die Hälfte der deutschen Kartoffeln, jedes vierte Stück Butter und jedes dritte Schweineschnitzel produziert. In Niedersachsen trägt der Bereich Land- und Forstwirtschaft (inkl. Fischerei) mehr zur Bruttowertschöpfung bei als in irgendeinem anderen Bundesland. Den größten Anteil hat dabei die Tierhaltung mit 60 %.
Niedersachsen lebt gut von der Landwirtschaft. Aber lebt Niedersachsen auch gut mit der Landwirtschaft?
Die Bedeutung der Landwirtschaft für Niedersachsen verdeutlichen am besten bloße Zahlen: Mehr als die Hälfte des Bodens in Niedersachsen ist landwirtschaftliche Fläche, insgesamt 2,6 Millionen Hektar. Davor werden 1,9 Millionen Hektar als Ackerland, 0,7 Millionen Hektar als Dauergrünland sowie rund 20.000 Hektar als Dauerkulturfläche bewirtschaftet.
Die Größen landwirtschaftlicher Betriebe reichen von wenigen Hektar in spezialisierten Gartenbaubetrieben bis hin zu großen Ackerbaubetrieben mit mehreren Hundert Hektar. Im Durchschnitt sind niedersächsische Haupterwerbsbetriebe (Einzelunternehmen) 83 Hektar groß. Etwa 75% aller landwirtschaftlichen Betriebe halten Tiere, vor allem Milchvieh und Schweine.
Die Bedeutung und Größe der landwirtschaftlichen Produktion schafft jedoch nicht nur Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Sie ist für eine ganze Reihe gravierender Probleme verantwortlich wie Artenschwund, Vermaisung, Bienensterben und Überdüngung. Dabei ist in erster Linie die konventionelle Landwirtschaft Verursacher dieser Probleme. Sie macht in Niedersachsen 95% aller landwirtschaftlichen Betriebe aus. Wenig mehr als 3 % der Agrarfläche in Niedersachen wird ökologisch bewirtschaftet.
Der Wandel hin zu einer naturverträglicheren Landwirtschaft findet statt, doch geht er zu langsam voran, um dem massiven Insektensterben, den Verlust von Artenvielfalt und den Rückgang insbesondere bei den Wiesenvögeln begegnen zu können. Es bedarf also dringend einer Veränderung der politischen Leitkultur sowie der finanziellen Lenkungsinstrumente. Zumal inzwischen sogar hohe Strafzahlungen der EU drohen, da Niedersachsen seinen eingegangenen Naturschutzverpflichtungen in den EU-Vogelschutzgebieten nicht nachkommt.
Apropos finanzielle Lenkungsinstrumente: Interessanterweise betrug der Anteil an Direktzahlungen und Zuschüsse am Gewinn landwirtschaftlicher Haupterwerbsbetriebe (ohne Gartenbau und Dauerkulturbetriebe) für konventionelle Betriebe 75%, für Ökobetriebe dagegen 60%. (Zahlen für 2015/2016) Ökologische Betriebe sind also weniger von Agrarsubventionen abhängig. Grund dafür sind vor allem die höheren Verbraucherpreise für Ökolebensmittel.
Probleme:

Grünlandumbruch - Foto: Gerd Ostermann
Vermaisung und Bioenergie: Problem Lebensraumverlust und Nitrateintrag
In Niedersachsen hat die Anbaufläche für Mais von 357.500 Hektar im Jahr 2005 auf rund 600.000 Hektar im Jahr 2016 zugenommen. Damit hat Mais einen Anteil von knapp einem Drittel an der Ackerfläche in Niedersachsen, in den Hochburgen der Biogasanlagen und Viehhaltung gibt es mittlerweile jedoch Landstriche, in denen Jahr für Jahr auf 60-75% der Ackerfläche Mais in Intensivkultur wächst. Aufgrund einer Gesetzgebung 2017 hat sich die Anbaufläche etwas verringert, insgesamt sind die Zahlen jedoch noch viel zu hoch.
Grund für den verstärkten Maisanbau ist auch, dass Bioenergie in Niedersachsen zu einer tragenden Säule der Energieerzeugung geworden ist: Sie hat mittlerweile einen Anteil von 70% am Endenergieverbrauch aus Erneuerbaren Energien. 19% aller bundesweiten Biomasseanlagen stehen in Niedersachsen. Auf 10% der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Niedersachsen werden Energiepflanzen für die Biogaserzeugung angebaut.
Der Anbau von Mais-Monokulturen hat negative Auswirkungen auf Landschaftsbild, vor allem aber gehen Lebensraum und Artenvielfalt über und im Boden verloren, z. B. für Wiesenweihe und Kiebitz sowie für zahlreiche Insektenarten. Besonders problematisch ist der Anbau von Mais auf Moorböden, insbesondere durch die Freisetzung klimaschädlicher Gase. Schließlich spielt wie bei jeder Intensivkultur auch die Nitratbelastung durch Düngung eine Rolle (s.u.).
Grünland: Problem Verlust der Biologischen Vielfalt
Artenreiches Grünland ist ein wichtiger Bestandteil unserer Kulturlandschaft, wichtiger Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten, es schützt den Boden vor Erosion und puffert Stoffeinflüsse in Grund- und Oberflächengewässern. Grünlandflächen sind somit unverzichtbarer Bestandteil einer multifunktionalen Landwirtschaft.
Der Flächenanteil des Dauergrünlands ist in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren rückläufig. Allein in Niedersachsen gingen die Flächen um 5,2 Prozent im Zeitraum 2003 bis 2016 zurück mit Nord-Südgefälle. Die Abnahme des Grünlands ist vor allem Folge einer zunehmend intensiveren Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte einschließlich der Energiegewinnung und den damit verbundenen Nutzungsänderungen. Niedersachsen ist damit bundesweit auf dem Weg an die Spitze beim Grünlandumbruch.
Dazu kommt: Dauergrünland ist nicht gleich Dauergrünland. Von den rund 0,7 Millionen Hektar Dauergrünland entfällt der Löwenanteil von 85% auf Mähweiden. Mähweiden aber werden im Regelfall intensiv mit bis zu fünf Schnitten im Jahr genutzt. Das Gras wird als Futtersilage für die Kühe in den Großstallungen, aber auch als Energieträger für Biogasanlagen verwendet. Als Folge bilden sich monotone Flächen mit Hochleistungsgräsern anstatt des abwechslungsreichen Wiesenflächen. Dort können weder Insekten noch Vögel leben.
Das Bundesamt für Naturschutz gibt in seinem Grünlandreport an, dass in der Kulturlandschaft der Europäischen Union heute 300 Millionen Vögel weniger leben als noch vor 30 Jahren – ein trauriger Rekord!
Überdüngung: Problem Trinkwasserversorgung und Artenverlust
In Niedersachsen sind die Grundwasserkörper auf 59 Prozent der Landesfläche zu stark mit Nitrat belastet und damit in einem schlechten Zustand. Regionen mit Intensivtierhaltung und Ackerbau in Kombination mit sehr leicht durchlässigen Böden sind hiervon besonders stark betroffen. So wurde in den Landkreisen Cloppenburg und Vechta, Zentren der deutschen Schweine- und Hähnchenmast, der Grenzwert für den Nitratgehalt im Grundwasser, der 50 mg/ beträgt, an über 50% der staatlichen Messstellen überschritten.
Wo liegt das Problem der Überdüngung, abgesehen von einer erheblichen Beeinträchtigung für unser Trinkwasser? Erhöhte Nährstoffangebote beeinflussen die natürlichen Artenzusammensetzungen in Oberflächengewässern, da Arten, die nährstoffarme Verhältnisse benötigen, von nährstofftoleranten Arten verdrängt werden. Während in Binnengewässern vor allem Phosphor zu Problemen führt, sind die Algenteppiche an den Küsten unter anderem ein Ergebnis zu hoher Stickstoffeinträge (-> Stichwort Eutrophierung).
Über die globalen Nachhaltigkeitsziele haben sich Deutschland und die ganze EU zu einer nachhaltigen Landwirtschaft bis 2030 verpflichtet. Dies bedeutet, dass die Landwirtschaft keine Schäden mehr an Artenvielfalt und Klima anrichten darf. Daraus leitet der NABU Niedersachsen folgende Forderungen ab.
Forderungen:

Apfelernte. - Foto: NABU/Bernd Schaller
- Verbot der Massentierhaltung
- die mengenmäßige Reduktion des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft und Verbot von Glyphosat und Neonicotinoiden
- eine gentechnikfreie Landwirtschaft in Niedersachsen
- Ökologisch besonders wichtige Standorte wie Moorböden, Grünlandflächen in Vogelschutzgebieten sowie Überschwemmungsflächen und erosionsgefährdete Hanglagen müssen als Tabuflächen definiert und von jeglichem Umbruch ausgeschlossen werden
- Feuchtgrünland als streng geschützter Biotoptyp muss im Naturschutzgesetz verbleiben
- Landwirte müssen finanzielle Anreize für die Umsetzung von Blüten- und Artenvielfalt, Natur- und Umweltschutz erhalten, die attraktiv genug sind, um mit anderen Förderanreizen (z.B. EEG) zu konkurrieren
- die Einbindung von Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt in die gute fachliche Praxis (z.B. Ackerrandstreifen, Extensivgrünland, „Lerchenfenster“) und Überführung ins Ordnungsrecht
- Einhaltung von mindestens drei Fruchtfolgegliedern pro Betrieb
- eine konsequente Umsetzung der Kompensationsmaßnahmen
- Agrarumweltprogramme müssen finanziell attraktiv, praxistauglich und naturschutzfachlich sinnvoll gestaltet werden (z.B. Blühstreifen, Blühflächen, Ackerrandstreifen, Zwischenfruchtanbau attraktiver Pflanzen für Insekten) sowie mit ausreichend Mitteln für ganz Niedersachsen ausgestattet werden
- die konsequente Kopplung aller Agrarzahlungen an ökologische Mindestkriterien nach dem Prinzip „öffentliches Geld für öffentliche Leistung“
- Ein angemessener Ausgleich der Förderung des Ökolandbaus, damit er wettbewerbsfähig wird
- Eindämmung des Maisanbaus durch den Anbau blühender Alternativpflanzen und Gemengen anstelle von Mais
- Einführung ökologischer Mindeststandards und strengerer Nachhaltigkeitskriterien beim Anbau nachwachsender Rohstoffe (z.B. Einrichtung ökologischer Vorrangflächen)
- die Trinkwasserreserven sind vor Verseuchung zu schützen, dazu muss das Niedersächsische Wassergesetz modernisiert werden: mit 10 Meter breiten Randstreifen ohne Düngemittel- und Pestizidgaben an Gewässern 1., 2. und 3. Ordnung
- ein ambitioniertes Programm zur Rettung der Wiesenvögel und weiterer Arten der Offenlandschaft
Quellen: https://www.umwelt.niedersachsen.de/themen/energie/erneuerbare_energien/bioenergie/ueberblick-bioenergie-121311.html
http://www.umwelt.niedersachsen.de/themen/wasser/grundwasser/grundwasserbericht/
https://www.ml.niedersachsen.de/startseite/aktuelles_veranstaltungen/veroeffentlichungen/die-niedersaechsische-landwirtschaft-in-zahlen-121348.html