Kurz vor zwölf für die Zwerggans
Es ist Zeit zu handeln!


In den letzten Jahren wurde sehr viel Forschung betrieben und verschiedene Möglichkeiten des Schutzes wurden erprobt. - Foto: Helmut Kruckenberg
Es ist noch keine 60 Jahre her, so berichten es skandinavische Ornithologen, da brütete die Zwerggans überall in den Fjälls Schwedens und Norwegens, und auch in Finnland und auf der nordrussischen Kola-Halbinsel. In einem recht breiten Gürtel brütete diese kleine Feldgans von Skandinavien bis an den Pazifik. Doch diese Zeiten sind lange vorbei. Bereits in den 1960er Jahren löste sich dieses Band auf, der Bestand verinselte. In den 1990er Jahren war die Zwerggans bis auf eine kleine Restpopulation in Schweden und in Nordnorwegen in Europa schon ausgestorben, von finnischen Brutvorkommen ist nichts mehr bekannt.
Aufgrund dieser dramatischen Entwicklung wurden Mitte der 1990er Jahre intensive Forschungsanstrengungen begonnen, die sich mit den Zugwegen und den Gefährdungsfaktoren befassen sollten. Heute wissen wir über die Art erheblich mehr, doch wurden keine Maßnahmen ergriffen, um den negativen Bestandstrend zu kehren.
Habitatverlust – entscheidend für einen Zugvogel
Traditionell überwintert der Großteil der Zwerggänse in den großen Steppen des Vorderen Orients, aber auch in der Puszta Ungarns und Südosteuropas. In diesen Graslandgebieten liegen große Seen und an deren Ufern große temporäre Überflutungsbereiche, die immer nur für kurze Zeit nach Regenfällen vorhanden waren. Nach den Überschwemmungen boten frisch aufkommende weiche Gräser auf dem nährstoffreichen Sedimentboden den Zwerggänsen vorzügliche Nahrungsflächen. Diese Lebensräume sind in den Nachkriegsjahren trockengelegt und in Ackersteppen umgewandelt worden. Die Zwerggänse konnten sich aber nicht in dem Maße der industrialisierten Landwirtschaft anpassen, zumal diese Steppenhabitate in allen Teilen des Winterareals zerstört wurden. So half den Zwerggänsen auch ihr großes Überwinterungsgebiet nicht. Die riesigen Steppengebiete, die sich von Ungarn bis in die Mongolei zogen, sind heute weitgehend zerstört.
Gefährliche Wege ins Wintergebiet
Die Zwerggans nutzt ein komplexes Zugwegesystem über den gesamten eurasischen Kontinent. Die Reise durch derart viele Staaten birgt viele Gefahren. Die Gänsejagd ist dabei die größte. Zwar ist die Jagd auf die Zwerggans in allen Ländern verboten, aber der Zwerggans wird ihre nahe Verwandtschaft zum Verhängnis: sie ist nicht nur sehr eng mit der größeren Blässgans verwandt, sondern sieht ihr auch sehr ähnlich. Realistisch betrachtet kann ein Jäger auch bei bestem Willen eine fliegende Zwerggans kaum von einer Blässgans unterscheiden. Überall dort wo die Jagd auf Blässgänse erlaubt ist, besteht daher Lebensgefahr für die Zwerggans!
Was muss nun geschehen?
Alle am Zwerggansschutz Beteiligten sind in großer Sorge um den Fortbestand dieser zierlichen Gänseart. Nachdem die Bemühungen um eine Beschränkung der illegalen Jagd in Russland und Südosteuropa nur begrenzten Erfolg zeigten, kümmert sich der WWF Norwegen verstärkt um die Optimierung der Winterrastgebiete speziell der nordnorwegischen Population, die regelmäßig am Kerkini-See in Griechenland überwintert. Hier wird versucht, die ehemaligen Nahrungsflächen der Zwerggänse wieder herzustellen und in einen guten Zustand zu versetzen. Momentan verspricht dies gute Erfolge, denn die Zahl der beobachteten Vögel hier wächst mit jedem Jahr.
Dramatischer Rückgang in Skandinavien
In den schwedischen Fjälls konnte sich seit den 1980er Jahren durch die intensive Arbeit unseres Projektpartners Svenska Jagersverbundet ein kleiner Bestand halten und positiv entwickeln. Bis 2012 war dieser wieder auf 120 Vögel angewachsen. Aktuell jedoch hat sich die Zahl auf ein Drittel reduziert: Seeadler haben den mausernden Vögel stark zugesetzt und die zunehmende Jagd auf Blässgänse in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und den Niederlanden tat wohl ihr übriges. Intensiv wird nun an gemeinsamen Schutzprojekten gearbeitet.
Im Herbst 2014 schätzen Vogelschutzexperten die Zahl der Zwerggänse auf einen Brutbestand in Skandinavien von ca. 70 bis 80 Vögeln und einen Winterbestand in Westeuropa von ca. 50 bis 70 Tieren.