Verstoß gegen die Vogelschutzrichtlinie
NABU legt Beschwerde bei EU-Kommission ein



Niedersachsen hat für Wiesenvögel eine besondere Verantwortung. Etwa die Hälfte aller bundesdeutschen Uferschnepfen, Kiebitze und Brachvögel leben in diesem Bundesland. - Foto: Frank Derer
20. Dezember 2018 - Leider wird Niedersachsen seiner Verantwortung für Wiesenvögel seit Jahrzehnten nicht gerecht. Der vor wenigen Jahren von der Fachbehörde für Naturschutz herausgegebene Brutvogelatlas dokumentiert in erschreckender Weise den landesweiten Niedergang der Bestände.
Der Bestandsrückgang beschränkt sich allerdings nicht nur auf die „Normallandschaft“. Der NABU hat für das EU-Vogelschutzgebiet „Niederungen der Süd- und Mittelradde“, einem Gebiet von ca. 4.400 ha in den Landkreisen Cloppenburg und Emsland, alle zur Verfügung stehenden Gutachten und Dokumente beispielhaft für viele Gebiete in Niedersachsen ausgewertet. „Das Ergebnis ist verheerend“, so NABU-Landesvorsitzender Dr. Holger Buschmann. „Seit Meldung des Gebiets an die EU-Kommission im Jahr 2007 hat sich der Kiebitz-Bestand nahezu halbiert. Die Uferschnepfe steht nach Bestandsabnahmen von über 80 Prozent lokal vor dem Aussterben. Wir haben es mit einem eklatanten Verstoß gegen die EU-Vogelschutzrichtlinie zu tun.“
Die EU-Vogelschutzrichtlinie sieht vor, dass gemeldete Gebiete unverzüglich hoheitlich als Schutzgebiet zu sichern sind. Auch darf sich der Erhaltungszustand der zur Meldung geführten Brutvogelarten nicht verschlechtern. Gegen beide Vorgaben wird verstoßen. Die Niederungen der Süd- und Mittelradde sind auch elf Jahre nach ihrer Meldung nicht vollständig gesichert und die Brutbestände befinden sich seither auf Talfahrt.
Die bisher durchgeführten Maßnahmen zum Erhalt der Wiesenvogelbestände an Süd- und Mittelradde sind nachweislich unzureichend. Im bereits als Landschaftsschutzgebiet gesicherten Teilbereich fehlen wiesenvogelrelevante Bewirtschaftungsauflagen fast vollständig: Dazu gehören unter anderem das Verbot des Schleppens und Walzens während der Brutzeit oder das Verbot des Mähens während der Kükenaufzucht. Die vom Land Niedersachsen angebotenen Agrarumweltmaßnahmen für Wiesenvögel werden von den Landwirten vor Ort nicht angenommen. Praktiziert wird der sogenannte Gelege- und Kükenschutz. Durch Gelegemarkierung schützt er zwar vor landwirtschaftlich bedingten Verlusten, bringt aber keinerlei Änderungen in der Bewirtschaftungspraxis oder Verbesserungen im Lebensraum mit sich. Das Ergebnis sind artenarme Wirtschaftsgrünländer ohne dauerhafte Perspektive für Blütenpflanzen, Insekten und Wiesenvögel.
NABU fordert einen sofortigen Masterplan für die Niederungen an Süd- und Mittelradde
Die zuständigen Landkreise und das Niedersächsische Umweltministerium sind durch die jährlichen Gelege- und Kükenschutzberichte vollumfänglich informiert, ohne daraus Konsequenzen zu ziehen. „Uns blieb vor diesem Hintergrund nur der Gang nach Brüssel“, so Dr. Holger Buschmann. Analog zur unteren Ems-Niederung fordert der NABU einen sofortigen Masterplan für die Niederungen an Süd- und Mittelradde. Der NABU geht davon aus, dass Niedersachsen nicht nur hier, sondern in vielen weiteren EU-Wiesenvogelgebieten gegen europäisches Naturschutzrecht verstößt. Dazu der NABU-Landesvorsitzende: „Wir brauchen endlich eine Perspektive für den Wiesenvogelschutz in Niedersachsen. Das im Koalitionsprogramm der Regierungsparteien angekündigte Wiesenvogelprogramm von Landwirtschafts- und Umweltministerium hat bislang den Charakter einer Luftnummer. Wenn es nicht einmal gelingt in den europäischen Schutzgebieten für einen guten Erhaltungszustand bedrohter Arten zu sorgen, muss man sich über das Insektensterben und den Niedergang von Feld- und Wiesenvögeln erst recht nicht wundern.“
Land erfüllt nicht mal die gesetzlich vorgegebenen Pflichtaufgaben
Der NABU fordert bereits seit vielen Jahren die wechselnden Landesregierungen auf, dem Naturschutz endlich genügend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, damit das Land zumindest die gesetzlich vorgegebenen Pflichtaufgaben erfüllen kann. Es laufen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland, wobei Niedersachsen in fast allen Fällen das säumigste Bundesland ist.
NABU-Forderungen:
Der Naturschutz-Etat muss von unter 0,25 Prozent des Landeshaushaltes (knapp 70 Mio. Euro) umgehend auf 0,5 Prozent (155 Mio. Euro) und dann schrittweise auf 1 Prozent erhöht werden, wodurch Strafzahlungen der EU in weit höherem Ausmaß verhindert werden könnten. Insbesondere werden zusätzliche jährliche Gelder in folgenden Bereichen akut benötigt:
- Für ein Schutzprogramm für artenreiches Grünland und Wiesenvogelschutz, das im ersten Schritt auf allen landeseigenen Flächen und im zweiten durch Flächenkauf und eine intensive Betreuung vor Ort umgesetzt wird. (à 8 Millionen Euro)
- Für einen schrittweisen Aufbau neuer Ökologischer Stationen, um damit die Schutzgebietsbetreuung und die Naturschutzberatung in Niedersachsen landesweit zu stärken. (à 5 Millionen Euro)
- Die Einrichtung von Landschaftspflege- und Naturschutzbauernhöfen in ganz Niedersachsen für die praktische Umsetzung von Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen.( à 8 Millionen Euro)
- Ein bei weitem besser finanziell ausgestattetes Gewässerprogramm, das Fließ- und stehende Gewässer sowohl chemisch als auch ökologisch strukturell deutlich verbessert. (à 8 Millionen Euro)
- Für Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in den Schutzgebieten und die dringend notwendige Managementplanung müssen deutlich mehr Landesmittel zur Verfügung stehen. (à 30 Millionen Euro)
- Die Naturschutzbehörden, die in der Vergangenheit deutlich im Personal verkleinert wurden und vollkommen unterbesetzt sind, müssen mit weiterem, fachlich qualifiziertem Personal ausgestattet werden, damit sie ihren Aufgaben gerecht werden können. Dies gilt für die Unteren Naturschutzbehörden genauso wie für den Fachbereich Naturschutz im Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und den Naturschutzreferaten im Umweltministerium. (à 12 Millionen Euro)
- Ein Erschwernisausgleich für Eigentümer, Landwirte und Forstwirte in Schutzgebieten, wenn ein Nutzungsverzicht oder eine Nutzungsänderung über die Gesetzeslage hinaus notwendig wird. (à 10 Millionen Euro)
- Eine Ko- und Zwischenfinanzierung sowie Antragsunterstützung von LIFE-, Bundesprogramm Biologische Vielfalt-, Insektenförderprogramm des Bundes und Blaues Band-Projekten. (à 4 Millionen Euro)
- Monitoring und Berichtspflichten der Erhaltungszustände der Arten und Lebensräume inklusive eines digitalen Artenerfassungssystems. (à 1 Millionen Euro)