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Die EU-Vogelschutzrichtlinie wird 40
Europas erfolgreichstes Naturschutzgesetz



Profitierte enorm von der Vogelschutzrichtlinie: Der Schwarzstorch. - Foto: Marco Sommerfeld
28. März 2019 - Die EU-Vogelschutzrichtlinie wurde 1979 von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union verabschiedet. „Seitdem ist sie die wichtigste Grundlage für den Schutz wildlebender Vogelarten und ihrer Lebensräume in der EU“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. „Sie gilt weltweit als eines der fortschrittlichsten und erfolgreichsten Naturschutzgesetze. Vollständig umgesetzt ist sie aber auch nach 40 Jahren immer noch nicht.“
Ziel der Richtlinie ist der Erhalt eines guten Zustands aller europäischen Vogelarten, insbesondere durch eine strenge und europaweit einheitliche Regulation der Jagd, durch aktive Schutzmaßnahmen für besonders gefährdete Arten und durch die Ausweisung der wichtigsten Vogelvorkommen als spezielle Schutzgebiete. „Die Umsetzung dieser Maßnahmen ist jedoch ein quälend langer Prozess, der bis heute anhält“ bemängelt Miller. Wie in vielen anderen Mitgliedstaaten auch, erfolgte die Umsetzung in Deutschland häufig erst aufgrund massiven Drucks durch die EU-Kommission als „Hüterin der EU-Verträge“, durch Vertragsverletzungsverfahren sowie Gerichtsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof.
Verstöße gegen Vogelschutzrichtlinie in Niedersachsen
Das Bundesland Niedersachsen wird seiner Verantwortung, speziell für Wiesenvögel, seit Jahrzehnten nicht gerecht. So hat der NABU für das EU-Vogelschutzgebiet „Niederungen der Süd- und Mittelradde“, einem Gebiet von etwa 4.400 Hektar in den Landkreisen Cloppenburg und Emsland, alle zur Verfügung stehenden Gutachten und Dokumente beispielhaft für viele Gebiete in Niedersachsen ausgewertet. „Das Ergebnis ist verheerend“, so NABU-Landesvorsitzender Dr. Holger Buschmann. „Seit Meldung des Gebiets an die EU-Kommission im Jahr 2007 hat sich der Kiebitz-Bestand nahezu halbiert. Die Uferschnepfe steht nach Bestandsabnahmen von über 80 Prozent lokal vor dem Aussterben. Wir haben es hier mit einem eklatanten Verstoß gegen die EU-Vogelschutzrichtlinie zu tun.“
Die EU-Vogelschutzrichtlinie sieht vor, dass gemeldete Gebiete unverzüglich hoheitlich als Schutzgebiet zu sichern sind. Auch darf sich der Erhaltungszustand der zur Meldung geführten Brutvogelarten nicht verschlechtern. Gegen beide Vorgaben wird in Niedersachsen verstoßen. Die Niederungen der Süd- und Mittelradde sind auch elf Jahre nach ihrer Meldung nicht vollständig gesichert und die Brutbestände befinden sich seither auf Talfahrt.
„Der NABU in Niedersachsen fordert bereits seit vielen Jahren die wechselnden Landesregierungen auf, dem Naturschutz endlich genügend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, damit das Land zumindest die gesetzlich vorgegebenen Pflichtaufgaben erfüllen kann“, so Dr. Buschmann weiter. Es laufen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland, wobei Niedersachsen in fast allen Fällen das säumigste Bundesland ist.
Der NABU fordert einen sofortigen Masterplan für die Niederungen an Süd- und Mittelradde. Der NABU geht davon aus, dass Niedersachsen nicht nur hier, sondern in vielen weiteren EU-Wiesenvogelgebieten eklatant gegen europäisches Naturschutzrecht verstößt. Mehr →
Situation in Deutschland
Deutschlandweit dauerte es etwa 30 Jahre, ein einigermaßen vollständiges Schutzgebietsnetz auszuweisen. Heute gibt es 742 Vogelschutzgebiete, die etwa 14,5 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands, inklusive der Meeresgebiete, einnehmen. Gesetzlicher Schutz, aktive Maßnahmen und Schutzgebiete haben sich positiv auf die Bestände vieler Flaggschiffarten des Naturschutzes ausgewirkt. So hat der Bestand des Schwarzstorchs stark von der Vogelschutzrichtlinie profitiert. In den vergangenen 25 Jahren nahm sein Bestand in Deutschland um 1655 Prozent zu. Beim Seeadler waren es 393 Prozent, bei der Wiesenweihe 238 Prozent, beim Wanderfalken 215 Prozent und beim Kranich 415 Prozent. Auch die Bestände von weniger bekannten Arten, wie Mittelspecht, Blaukehlchen, Heidelerche und Ortolan konnten sich dank der Schutzmaßnahmen erholen.
Wie wirksam der Schutz durch die Vogelschutzrichtlinie ist, wurde zuletzt 2015 wissenschaftlich belegt. Forscher von BirdLife International, der britischen Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) und der Universität Durham wiesen nach, dass ob eine Vogelart in der EU abnimmt oder zunimmt, am meisten davon abhängt, ob sie in der Vogelschutzrichtlinie als aktiv besonders zu schützen gelistet ist – oder eben nicht.
„Diese Erfolge können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei der Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie in Europa noch viel zu tun gibt“, so Miller. „So fehlen für etwa die Hälfte der deutschen EU-Vogelschutzgebiete effektive Managementpläne und ausreichende Finanzmittel für die notwendigen Maßnahmen, um die gesetzlichen Schutzziele zu erreichen. Auch wird die illegale Jagd auf Singvögel im Mittelmeerraum nicht konsequent genug von den Mitgliedsstaaten verfolgt.“
Vogelbestände in Agrarlandschaften nehmen ab
Der größte Schwachpunkt bei der Umsetzung der Richtlinie ist jedoch ihre fehlende Wirksamkeit in der Fläche: Während sich viele seltene Zielarten des Naturschutzes inzwischen gut entwickeln, brechen die Bestände vieler häufiger und weitverbreiteter Allerweltsvogelarten ein. Insbesondere in der Agarlandschaft sind die EU-Vogelbestände seit Inkrafttreten der Richtlinie um 56 Prozent zurückgegangen.
Dort hat die Vogelschutzrichtlinie trotz ihres flächendeckenden Anspruchs das Nachsehen gegenüber der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Diese födert pauschal und ineffizient den Besitz großer Flächen, stellt aber viel zu wenig finanzielle Mittel für eine naturverträgliche Landbewirtschaftung und das Ereichen der Naturschutzziele der EU bereit. Deshalb fordert der NABU zusammen mit den anderen deutschen Umweltverbänden unter anderem, dass im Zuge der aktuell diskutierten Neuausrichtung der gemeinsamen EU-Agrarpolitik ein jährlicher Betrag von 15 Milliarden Euro für den Naturschutz ausgewiesen wird.
Niedersachsen hat für Wiesenvögel eine besondere nationale und internationale Verantwortung. Alle Arten sind im Rückgang begriffen. Das gilt nicht nur für anspruchsvolle Brutvögel wie Kampfläufer und Uferschnepfe, sondern auch für ehemals weit verbreitete Arten wie Kiebitz und Feldlerche. Bislang ist das Land dieser Verantwortung nicht gerecht geworden. Mehr →