Gänsejagd in Niedersachsen einschränken
NABU fasst Gründe zusammen
04. Dezember 2013 - Der NABU Niedersachsen unterstreicht seine Forderung, die Gänsejagd in Niedersachsen einzuschränken. Die Jagd auf Zugvögel ist nach Ansicht des NABU nicht mehr zeitgemäß und widerspricht dem EU-Recht. Für viele Gänsearten besteht in Niedersachsen eine hohe Verwechslungsgefahr mit nicht jagdbaren Arten (Zwerggans mit Blässgans, Weißwangengans mit Kanadagans, Kurzschnabelgans mit Saatgans, Sing- und Zwergschwan mit Höckerschwan). Die geschützten Arten stehen z.T. im Anhang I Vogelschutzrichtlinie. Sie sind europaweit nicht jagdbar. Der Abschuss einer geschützten oder geschonten Art stellt einen Straftatbestand dar. Eine Jagdausübung beunruhigt alle Vögel in einem Rastgebiet. Betroffen sind somit sowohl die bejagten Arten als auch die geschützten Arten. „Gerade Niedersachsen als Drehscheibe des internationalen Gänsezugs müsse seiner Verantwortung nachkommen. Wildgänse sind Zugvögel und unterliegen damit auch den entsprechenden internationalen Konventionen, für deren Umsetzung im Föderalismus hier das Land Niedersachsen zuständig ist“, erklärte NABU-Landesvorsitzender Dr. Holger Buschmann.
Der NABU Niedersachsen fasst Gründe für eine Einschränkung der Gänsejagd in Niedersachsen zusammen.
Jagd auf Gänse
Etwaige Schäden auf landwirtschaftlichen Flächen lassen sich durch die Jagd ohnehin nicht erfolgreich reduzieren. Hauptgrund für die Ausweitung soll die Vermeidung von Gänseschäden in der Landwirtschaft sein. Unabhängig von der Frage, ob und wie dies nachgewiesen wurde und die jeweiligen Arten als „Hauptverursacher“ ermittelt wurden, zeigen Ergebnisse aus der Gänseforschung deutlich, dass Jagd die Probleme in der Landwirtschaft nicht lösen kann. So entstehen Gänsefraßschäden, präziser als „Mindererträge“ zu bezeichnen, auf landwirtschaftlichen Flächen, wenn die Beweidungsintensität eine physiologisch bedingte Obergrenze überschreitet (so genannter „physiologischer Schwellenwert“). Gänse verteilen sich im Winterhalbjahr unter ungestörten Bedingungen gleichmäßig über große Bereiche, so dass eine „Überweidung“ normalerweise unterbleibt. Diese natürlichen Verteilungsmuster werden durch die Jagd gestört.
Die Folgen der jagdlichen Beunruhigung stellen sich folgendermaßen dar:
Wenn Gänse beschossen werden
- fliegen sie mehr, verbrauchen dadurch mehr Energie und müssen diesen Verlust kompensieren. Sie fressen also mehr.
- werden belebte Bereiche gemieden und sie konzentrieren sich auf beruhigte, abgelegene Bereiche.
- sind sie scheuer, halten also mehr Abstand zu menschlichem Einwirken, baulichen und natürlichen Strukturen wie Hecken, Straßen, Windanlagen, Siedlungen ein. Ihr Lebensraum wird dadurch auch unabhängig vom Jagddruck am konkreten Ort kleiner und sie konzentrieren sich weiter auf kleinerer Fläche, was dort Schäden verursacht, da die Dichte über den „physiologischen Schwellenwert“ gehoben wird.
Minderertrag durch Gänse in Getreidesaat und auf Grünland
Gänsebeweidung von Äckern und Grünland setzen Landwirte meist mit erheblichen Ertragseinbußen gleich. Dass diese Annahme nur sehr begrenzt zutrifft, haben etliche Untersuchungen ergeben.
Problematisch ist Gänsefraß für gerade aufgelaufene Getreidesaat. Aber auch dabei sind gefressene Sämlinge nicht gleich zu Ernteverlusten hochzurechnen, da bis zu einem gewissen Grad die benachbart stehenden jungen Getreidepflanzen den frei gewordenen Raum nutzen können. Wenn im Spätsommer und Frühherbst die Getreidesaat aufgeht, sind nur Graugänse anwesend, die dann mit regulärer Jagdzeit auf den Äckern geschossen werden dürfen. Der Schutz der jungen Weizen- oder Gerstensaat kann folglich nicht als Begründung für Schonzeitabschüsse herangezogen werden. Wenn sich die Saat in den Herbstmonaten bereits zu mehrblättrigen, rosettenartig gewachsenen Pflanzen entwickelt hat, kann sie durchaus stark befressen werden. Die Blattverluste werden im Frühjahr ersetzt. Auch bei anhaltendem Kahlfrost oder unter längere Zeit matschiger Schneedecke stirbt die Blattmasse ab, um im Frühjahr wieder ersetzt zu werden.
Das trifft im Prinzip gleichermaßen auf Grünland zu. Relevante Verluste entstehen nur bei sehr konzentriertem Gänsefraß im Frühjahr. Zu beachten ist aber, dass der vermehrte Einsatz eiweißreicher Hochleistungsgräser die Attraktivität von Intensivgrünland für Gänse erhöht.
Vergrämungsmethoden wie der Abschuss von einzelnen oder mehreren Gänsen zeigen nur für die Flächen Erfolg, von denen die Gänse dadurch konsequent ferngehalten werden, nicht aber für umliegende Flächen, auf die die Vögel ausweichen. Denn irgendwo müssen Gänse schließlich Nahrung aufnehmen. Das Aufscheuchen steigert den Energiebedarf. Je häufiger Gänse vertrieben werden, desto mehr müssen sie fressen. Die jagdbedingte Scheuheit führt zu größerer Fluchtdistanz gegenüber Menschen allgemein. Während sich ungestörte Gänsescharen weitläufig über die Fläche verteilen, fressen unter Störungsstress stehende Gänse in deutlich dichterer Konzentration, so dass für die betroffenen Kulturen eher relevante Fraßschäden zu befürchten sind. Somit kann in der Bilanz mit Vergrämungsmaßnahmen der gewünschte Effekt, nämlich Fraßverluste zu vermindern, in sein Gegenteil verkehrt werden. Da Gänse Grasfresser sind, kann es, wo sie lange und in großer Zahl rasten, zu Mindererträgen auf landwirtschaftlichen Nut zflächen kommen.
Artenschutzrechtlich bedenklich
Unter Gesichtspunkten des Artenschutzes sind gerade Schonzeitabschüsse kritisch zu sehen, weil diese in die Rast- und Brutzeit fallen. Die jagdlichen Störungen der bei uns rastenden bzw. überwinternden Gänse beeinträchtigen den vor dem Heimflug notwendigen Aufbau von Energiedepots und damit die Kondition der Vögel, die sie nicht nur für den Flug in ihre nordischen Brutgebiete, sondern auch für Brutgeschäft und Mauser in Breitengraden mit nur kurzer Vegetationsperiode benötigen.
Gänsejagd, egal ob zur Jagd- oder Schonzeit, erhöht die Zahl der durch Schrote verletzten und sterbenden Tiere. Denn nicht selten werden Gänse auf zu weite Distanz beschossen. Beim Schuss auf in dichtem Trupp fliegende Gänse verletzen die Schrotkörner häufig mehrere fliegende Vögel. Schonzeitabschüsse können sich zu einer Belastung für die Populationen entwickeln.
Nach Artikel 7 der Europäischen Vogelschutzrichtlinie haben die EU-Mitgliedsstaaten dafür zu sorgen, „dass die Arten, für die die einzelstaatlichen Jagdvorschriften gelten, nicht während der Nistzeit oder während der einzelnen Phasen der Brut- und Aufzuchtzeit bejagt werden“. Die Schonzeitabschüsse von Graugänsen verstoßen gegen diese europarechtliche Vorgabe. Für Zugvögel gilt zusätzlich, dass sie nicht „während ihres Rückzugs zu den Nistplätzen ... bejagt werden (dürfen)“. Zwar erlaubt Artikel 9 Ausnahmen u.a. „zur Abwendung erheblicher Schäden an Kulturen“, doch nur, „sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt“. Mit einem über Vertragsnaturschutz geregelten vermehrten Angebot an Gänseäsungsflächen sowie Verpflichtungen zum Grünlanderhalt gibt es diese jedoch.
Für besonders fragwürdig hält der NABU die Wasservogeljagd in den niedersächsischen Vogelschutzgebieten, so zum Beispiel im Rheiderland, in der Emsmarsch von Leer bis Emden, Krummhörn, Ostfriesische Meere und Niedersächsisches Wattenmeer, denn in diesen Gebieten ist nach der derzeit geltenden Jagdzeitenverordnung jetzt eine Jagd auf Bläss- und Saatgänse untersagt. In diesen Gebieten sollen die Zugvögel ausdrücklich geschützt werden, dennoch ist in vielen die Jagd auf die Zugvögel erlaubt. „Es ist geradezu widersinnig: da müssen Landwirte, Vogelfreunde und Spaziergänger mit Einschränkungen für den Vogelschutz leben, während gleichzeitig die Schutzobjekte im Gebiet erschossen werden“, betonte Dr. Holger Buschmann, „das kann doch keiner mehr verstehen!“