Zwei Rinder auf vom NABU gepachteten Flächen gestorben
Stellungnahme des NABU Niedersachsen



Der NABU Niedersachsen stellt die ihm zu diesem Vorfall bekannten Informationen möglichst unmittelbar transparent zur Verfügung. Durch die aktive Aufarbeitung der Vorfälle entsteht fortwährend ein weiterer Informationsgewinn, der mitunter auch zu Präzisierungen einzelner Aussagen führt. Wir aktualisieren daher regelmäßig die hier angebotenen Informationen.
Stand: 27. Mai 2023
27. Mai 2023: NABU-Landesvorsitzender Dr. Buschmann kritisiert illegale Aktivitäten nach zum Teil falscher Presseberichterstattung und ruft zur Sachlichkeit auf. >> weiterlesen
26. Mai 2023: Am 26. Mai 2023 veröffentlichte der Landkreis Leer eine Pressemitteilung und kündigte in dieser an, dass das Heckrinder-Weideprojekt des NABU bis zum Winter beendet werden soll. Dem NABU Niedersachsen ist diesbezüglich keine Mitteilung eingegangen, weshalb uns eine Stellungnahme nicht möglich ist.
Fragen und Antworten zu den Vorfällen
1. Weshalb musste ein Kalb eingeschläfert werden?
Auf Anweisung des Veterinäramtes Landkreis Leer wurden die Rinder am 10. Mai 2023 für routinemäßige Blutuntersuchungen zusammengetrieben.
Zum Tag der geplanten Untersuchung war neben Mitarbeitenden des NABU Woldenhofes ein Tierarzt anwesend. Es wurde bedauerlicherweise verpasst, das Veterinäramt direkt mit einzubinden, allerdings wurde dieses wegen einer bemerkten fehlenden Ohrmarke an einer Mutterkuh nachträglich benachrichtigt, woraufhin eine Mitarbeiterin des Veterinäramtes zur Untersuchung dazustieß.
Die Witterungsbedingungen mit starkem Regenfall in der Nacht vor der geplanten Untersuchung erschwerten den Prozess, weshalb die Aktion auf Anweisung des Veterinäramts abgebrochen und die Tiere wieder freigelassen wurden. Vermutlich wurde das Kalb dabei von den anderen Tieren verletzt.
Die Schwere der Verletzung konnte nicht direkt beurteilt werden. Aus diesem Grund wurde der Zustand des Tieres, wie in solchen Fälle üblich, zunächst beobachtet. Leider trat keine Verbesserung ein, weshalb der NABU am darauffolgenden Tag einen Tierarzt mit der Einschläferung beauftragt hatte.
Hinweis: An dieser Stelle schrieben wir ursprünglich von einer unmittelbaren Zusammenarbeit mit dem Veterinäramt sowie einer von Beginn an bestehenden Anwesenheit einer Veterinäramtsmitarbeiterin. Diese fehlerhafte Darstellung ist auf einen zwischenzeitlichen Sachstand während der laufenden Aufarbeitung der Vorfälle zurückzuführen. Der Fehler wurde in diesem Prozess erkannt, eingestanden und korrigiert.
2. Was ist mit dem zweiten Tier passiert?
Das Veterinäramt meldete uns am 21. Mai ein lahmendes Tier. Nach unmittelbarer Begutachtung durch das Veterinäramt, mit Unterstützung durch das Personal des NABU Woldenhofs, wurde das Tier noch am selben Tag fachgerecht von seinem Leid erlöst und wird im Folgenden obduziert. Diese Obduktion soll klären, ob ein Zusammenhang mit den Blutuntersuchungen besteht.
3. Wie ist die Situation vor Ort zu beurteilen?
Die Flächen und Tiere stehen in Verantwortung der „Landschaftspflege und Naturerlebnis gGmbH Ostfriesland“ (LUNO) in Trägerschaft des NABU Niedersachsen. Die Tierhaltung wird nach dem Konzept einer extensiven „Wilden Weide“ betrieben, die Rinder leben somit ganzjährig auf den Flächen und werden nicht in Stallungen untergebracht. Eine regelmäßige Kontrolle wird von Mitarbeitenden des von der LUNO gGmbH betriebenen NABU Woldenhofs durchgeführt und durch ein konkretes Weidemanagement sichergestellt. Die Tiere befinden sich insgesamt in einem guten Zustand. Sie wurden und werden regelmäßig versorgt und stehen sehr gut im Futter.
Bei den zwei betroffenen Tieren handelt es sich um bedauerliche Unfälle im Zuge der routinemäßigen Blutentnahmemaßnahme.
4. Weshalb werden die Tiere extensiv auf der Weide gehalten?
Die extensive ganzjährige Beweidung kann eine erfolgreiche Methode zur Pflege und zum Erhalt von Naturschutzflächen sein. Robuste Weidetiere gestalten auf großen Flächen ganzjährig die Landschaft, ähnlich wie es wilde Huftiere früher taten. Durch die Bewegung und das Fressen von Rindern und Pferden entstehen abwechslungsreiche Strukturen mit Kurzrasen, Stauden, offenen Böden und Gebüschen. Diese Flächen bieten vielen anderen Tieren und Pflanzen Lebensraum, etwa dem bedrohten Kiebitz, der auf kurz gehaltene Flächen angewiesen ist. Zudem bietet der Dung der Weidetiere vielen Insekten Nahrung, die wiederum eine Futterbasis für Vögel und andere Tiere darstellen. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen die positive Wirkung der Ganzjahresbeweidung auf die Artenvielfalt, sie trägt maßgeblich zum Erhalt unseres Naturerbes bei. Zudem stellt die ganzjährige Weidehaltung für die dafür geeigneten Rassen eine der tierschutzgerechtetsten Haltungsformen dar, da ihr Bewegungsbedürfnis frei ausgelebt und Sozialstrukuren gebildet werden können.
Für die naturnahe Beweidung eignen sich viele alte und gefährdete Haustierrassen. Die robusten Rinder und Pferde nehmen auf nährstoffärmeren Böden das Futter optimal auf und sind sehr wetterfest. Auf seinen Flächen hält die LUNO gGmbH Heckrinder und Konikpferde. Die Tiere leben hier möglichst naturnah und sind an eine ganzjährige Haltung im Freien gewöhnt. Die Eigenständigkeit der Tiere innerhalb der Weide führt jedoch oft dazu, dass die Tiere weniger Nähe zu Menschen tolerieren als etwa Milchkühe und Reitpferde.
Dies stellt die Betreiber*innen extensiver Ganzjahresbeweidung vor besondere Herausforderungen, da sie in der Verantwortung stehen, einen Ausgleich zwischen den Notwendigkeiten des Natur-, Arten- und Tierschutzes herbeizuführen. Auch wenn in den Beweidungen großer Wert auf Naturnähe gelegt wird, handelt es sich immer um Tiere in menschlicher Obhut und die verantwortlichen Organisationen und Personen müssen das Wohl der Tiere stets gewährleisten. Als NABU Niedersachsen stehen wir für das Wohlergehen der Tiere in unserer Obhut in der Verantwortung. Dass zwei Rinder zu Schaden gekommen sind, bedauern wir sehr. Wir arbeiten konsequent daran, Risiken für die Tiere zu minimieren.
5. Weshalb tragen manche Tiere keine Ohrmarken?
Die Setzung von Ohrmarken ist wegen der weiträumigen und schwer begehbaren Weideflächen eine ähnliche Herausforderung wie die regelmäßigen Blutentnahmen. Aufgrund witterungsbedingter Einschränkungen und nur eingeschränkt verfügbarer Fachkräfte konnten einige der jüngeren Tiere bislang noch nicht mit Ohrmarken versehen werden. Ältere Tiere dagegen sind alle mit Ohrmarken versehen worden – es ist aber bekannt, dass eine Mutterkuh ihre Ohrmarke auf der Fläche verloren hat (s. Punkt 1).
Wir sind intensiv darum bemüht, die Ohrmarken sowie Blutuntersuchungen so schnell es geht nachzuholen bzw. zu wiederholen. Da dies in der extensiven Weidetierhaltung jedoch eine Herausforderung und mit Risiken der Arbeitssicherheit sowie Stress oder Verletzungen der Tiere beim Fang verbunden sein kann, müssen zuerst bestehende vakante Personalstellen besetzt werden.
6. Welche Schritte werden als nächstes unternommen?
Der NABU Niedersachsen hat weitere Maßnahmen vom Landkreis Leer angeordnet bekommen, welche bereits befolgt werden bzw. welchen mit hoher Priorität nachgekommen wird. Dazu zählen:
- Benennung verantwortlicher Betreuer*innen für die Tierhaltung auf der Weidefläche,
- Vorlage von Nachweisen über Kotuntersuchungen auf Parasiten, tierärztliche Behandlungen sowie ein Konzept für die Tierhaltung,
- eine Verbesserung der Kontrollen durch zweimal tägliche Besichtigung der Tiere auf der Weide mithilfe eines Traktors, um möglichst nah und gefahrlos an die Tiere heranzukommen,
- sowie die erneute Angewöhnung der Tiere an den Menschen durch Zufütterung mit schmackhaftem Futter
- und die zur Verfügungstellung von Tränkewasser.
Aufgrund der hohen Verantwortung und zum Wohl der Tiere strebt der NABU Niedersachsen dennoch schon seit Längerem mit hoher Priorität eine Reduzierung der bestehenden Herden auf diesen Flächen an. Auch die Aufgabe der Tierbestände ist eine mögliche Option. Dieses Vorgehen stellt den NABU Niedersachsen, die LUNO gGmbH sowie das Veterinäramt allerdings vor große Herausforderungen, weshalb Abstimmungsprozesse und Durchführung längere Zeit in Anspruch nehmen. Dazu gehört beispielsweise auch eine noch ausstehende notwendige EU-Zertifizierung des zu beauftragenden Schlachters, sodass ein sogenannter „Weideschuss“ direkt vor Ort durchgeführt werden darf. Dies ist die stressärmste Art der Schlachtung und erspart den Tieren den Transport zum Schlachthof. Trotz der bürokratischen Herausforderungen stehen alle Akteure in regelmäßigem und engem Austausch und treiben das Vorgehen voran.
In Abstimmung mit dem Veterinäramt ist geplant, zeitnah die noch ausstehenden Blutproben zu nehmen, um Infektionen mit dem Bovinen Herpesvirus Typ 1 (BHV 1) vorzubeugen.
Fakt ist, dass das Aufeinandertreffen mehrerer ungünstiger Faktoren zu diesen bedauerlichen Unfällen führte. Sowohl das Veterinäramt, als auch alle Mitarbeitenden des NABU sind darum bemüht, solche Einflüsse zu vermeiden. Auch aufgrund des generellen Fachkräftemangels ist es uns aktuell nicht schnell genug gelungen, Personalabgänge zu kompensieren, was in Kombination mit der schwierigen Wetterlage Einfluss auf die Entwicklung gehabt haben kann. In gemeinsamer Absprache mit dem Veterinäramt vor Ort wird deshalb seit längerem die Umsetzung verfolgt, die Anzahl der Tiere zu reduzieren, um die Betreuung langfristig gewährleisten zu können. Auch die Aufgabe der Tierbestände ist eine mögliche Option.