Streuobstwiesen sind durch den Menschen entstandene Biotope und somit Teil unserer Kulturlandschaft. Beim Streuobstbau wird Obst auf hochstämmigen Baumformen erzeugt, auf die Anwendung synthetischer Behandlungsmittel, also Pestizide und Mineraldünger, wird verzichtet. Es handelt sich um eine Produktionsform mit regionalen und lokalen Eigenheiten, deren Ursprung bis ins Mittelalter zurückreicht. Traditionell wurden in diesem Lebensraum sowohl die Früchte der Bäume genutzt (Obernutzung) als auch die Unterkultur in Form von Acker, Wiese, Weide oder Garten (Unternutzung). Die wirtschaftliche Nutzung der Unterkultur erklärt die relativ weiten Abstände zwischen den Bäumen.
Die Mahd oder Beweidung von Streuobstbeständen erfolgt in der Regel zweimal pro Jahr. Die Bewirtschaftung mit Ernte, Schnitt- und weitere Pflegemaßnahmen ist aufwändig. Aber nur durch fachgerechte Pflege können die Bäume eine gute Ernte liefern und ein hohes Alter erreichen und somit den ökologisch wertvollen Lebensraum liefern.
Streuobstwiesen sind bedrohte Lebensräume
Streuobstbestände umfassen in erster Linie Kern- und Steinobst, daneben aber auch Schalenobst, wie die Walnuss. Die häufigsten Sorten sind Äpfel, Birnen, Süßkirschen, Pflaumen und Zwetschgen. Kennzeichnend für diese traditionelle Form des Obstanbaus ist die Sortenvielfalt. Diese oft lokalen Sorten werden teils seit vielen Jahrzehnten, manchmal sogar Jahrhunderten, angebaut und sind deshalb optimal an die spezifischen Standortbedingungen angepasst.
In wirtschaftlicher Hinsicht ist der Streuobstbau in Niedersachsen unbedeutend, da er aufgrund der niedrigen Preise für Obst und der zeitintensiven Bewirtschaftung kaum rentabel ist. Die Bedeutung der Streuobstwiesen für Mensch und Natur liegt vor allem in der ökologischen und ästhetischen Funktion. Aber die Streuobstwiesenbestände sind heute stark bedroht, denn immer mehr Flächen werden für Siedlungsflächen gerodet oder oder ihre Nutzung und damit ihre Pflege aufgegeben. Überalterte Streuobstbestände werden nur selten verjüngt.
Streuobstwiesen sind Hotspots der Artenvielfalt
Eine einzige Streuobstwiese kann bis zu 450 Pflanzenarten und 3000 Tierarten beheimaten. Streuobstwiesen gehören somit zu unseren artenreichsten Biotopen. Die hohe Biodiversität ist eine Folge des Strukturreichtums und der extensiven Nutzung dieses Lebensraums. Da die Bäume oftmals bereits ein hohes Alter erreicht haben und natürliche Höhlungen aufweisen, bieten sie vielen höhlenbrütenden Vogelarten Wohnraum: In den alten Hochstämmen zimmern Spechte ihre Höhlen, als Nachmieter ziehen Steinkauz, Wendehals, Wiedehopf, Fledermäuse oder Siebenschläfer ein. Igel, Blindschleichen und Erdkröten, Mauswiesel und Eidechsen profitieren von dem reichen Nahrungsangebot. Für die Bestäubung der Obstbäume sorgen nicht nur Honigbienen, sondern auch zahlreiche Wildbienen und Hummeln. Bunte Falter wie der Admiral ernähren sich vom Fallobst. Hochstämmige Obstbäume und abgestorbene Äste (Tot- bzw. Biotopholz) sind die Lebensgrundlage für Flechten, Moose, Pilze oder Insektenlarven. Die enorme Obstsortenvielfalt mit ihren vielen lokal spezialisierten Sorten bildet zudem ein wertvolles Gen-Reservoir.
Streuobstwiesen sind zu jeder Jahreszeit ein Erlebnis
Streuobstwiesen üben einen ausgleichenden Einfluss auf das Lokalklima aus. Wichtig sind sie zudem für unser Grundwasser: Der langsame Abfluss und die teilweise Versickerung des Oberflächenwassers gewährleisten die regelmäßige Zufuhr von Frischwasser zum Grundwasserkörper. Dabei wirkt der Boden wie ein Filter. Günstig für die Grundwasser- und damit Trinkwasserqualität ist die Bewirtschaftungsweise, da auf den Einsatz mineralischer Dünger und von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel verzichtet wird.
Nicht zu vergessen die ästhetische Dimension dieses Lebensraums! Wer im Frühling schon einmal eine Wanderung durch eine Streuobstwiesenlandschaft unternommen hat, wird den sinnlichen Genuss nicht vergessen: Ein weißes und rosafarbenes, süß duftendes Blütenmeer, bunt blühende Wiesen, ein fröhliches, lebhaftes Summen und Zwitschern in den Bäumen. Streuobstwiesen prägen das Landschaftsbild auf einmalige Weise und stellen einen wertvollen Erholungsraum für die Bevölkerung dar. Die Bedeutung von Streuobstwiesen hat auch die UNESCO anerkannt und im März 2021 den Streuobstanbau zum Immateriellen Kulturerbe in Deutschland erklärt.
So engagiert sich der NABU Niedersachsen
Der NABU setzt sich für den Erhalt und die Neuanlage von Obstwiesen ein und erfasst alte Obstsorten. Die Landesarbeitsgruppe Streuobst begleitet Projekte zum naturnahen Obstbau und gibt Empfehlungen für Anbau und Pflege.
Seit der Änderung des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes 2020 (im Rahmen des Niedersächsischen Weges) sind Streuobstwiesenbestände ab 2.500 m² Fläche mit Obstbäumen ab 1,60 m Stammhöhe besonders geschützt. Streuobstwiesen zählen seitdem zu den „geschützten Biotopen“, die nicht einfach entfernt werden dürfen. Ist ihre Rodung dennoch erforderlich, ist diese nur mit Genehmigung und entsprechender Ausgleichsverpflichtung möglich. Es ist maßgeblich dem NABU Niedersachsen zu verdanken, dass diese Gesetzesänderung beschlossen wurde. Aktuell finden in den ersten Landkreisen Kartierungen statt, mit denen die Landesregierung ein Kataster auf den Weg bringt, das einen Überblick über die Streuobstwiesenbestände in Niedersachsen und deren Erhaltungszustand bietet. Um diesen besonderen Lebensraum zu erhalten und zu sichern, wäre außerdem ein Förderprogramm der Landesregierung zur fachlich qualifizierten Anlage und Pfleg von Streuobstwiesen notwendig.
Streuobstwiesenschutz in Niedersachsen:
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