EU-Kommission rügt Deutschland
Schlusslicht Niedersachsen ist schon neun Jahre im Verzug



Im Anhang I der Vogelschutzrichtlinie der EU sind alle europäischen Vogelarten aufgeführt, für deren Schutz besondere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Zu ihnen zählt u.a. der Silberreiher. - Foto: Tim Habenicht
24. Januar 2019 - Die EU-Kommission hat heute im Vertragsverletzungsverfahren zum Gebietsschutz eine Rüge gegen Deutschland ausgesprochen. „Der NABU begrüßt diesen Schritt. Die Rüge zeigt, dass Deutschland kein Musterschüler bei der Umsetzung von EU-Naturschutzrecht ist“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. „Die EU-Kommission tut gut daran, ihre Rolle als Hüterin der Verträge ernst zu nehmen. Sonst riskiert sie, das Vertrauen der Bürger zu verspielen.“
Die EU-Kommission hatte das Vertragsverletzungsverfahren 2015 eingeleitet, weil Deutschland viele seiner Natura 2000-Gebiete trotz Ablauf der Frist im Jahr 2010 nicht unter Schutz gestellt hatte. Im Jahr 2015 fehlte die Unterschutzstellung nach Angabe der EU-Kommission dabei für 2.784 der 4.606 Gebiete, heute sollen noch immer 787 Gebiete unzureichend gesichert sein. Zudem fehlten für viele dieser Gebiete die in der Fauna-Flora-Habitat-(FFH)-Richtlinie vorgesehenen Managementpläne mit konkreten Erhaltungsmaßnahmen.
Situation in Niedersachsen
In Niedersachsen ist die schleppende Umsetzung von Natura 2000 auf das Zögern der vergangenen Landesregierungen zurückzuführen. Immerhin besteht die Vogelschutzrichtlinie seit 1979 und die FFH-Richtlinie seit 1992 - genügend Zeit also um sie umzusetzen. Verschärft wurde das Problem unter Schwarz-Gelb mit dem Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP). In der Regierungszeit wurde nicht nur der Naturschutzetat massiv gekürzt, auch die Oberen Naturschutzbehörden, die für die Schutzgebietsausweisung zuständig waren, wurden abgeschafft. Zudem erfolgte in der Landesnaturschutzverwaltung ein massiver Stellenabbau und das Naturschutzgesetz wurde verwässert. Weiterhin wurde auch noch bewusst die Ausweisung der FFH- und Vogelschutzgebiete herausgezögert und anschließend bei der Umsetzung ausschließlich auf Vertragsnaturschutz gesetzt.
„Die Regierung in Niedersachsen muss erkennen, dass sie um die Umsetzung von Natura-2000 nicht herumkommt“, erklärt Dr. Holger Buschmann, Landesvorsitzender des NABU Niedersachsen. „Dafür muss sie nun die Ärmel hochkrempeln und schleunigst die Umsetzung vorantreiben, um dem Land und besonders dem Steuerzahler Strafzahlungen zu ersparen und endlich dem dramatischen Rückgang an Arten und der Verschlechterung der Lebensräume ambitioniert entgegen zu treten. Die Europäische Kommission hat heute hierzu deutlich Stellung bezogen. Nun hat Umweltminister Olaf Lies zwei Monate Zeit, um auf die Fragen der Kommission zu antworten.“
Landesregierung ignoriert den eigenen Koalitionsvertrag
Zur Umsetzung würden deutlich mehr Naturschutzmittel als bisher benötigt und der Naturschutz müsse massiv gestärkt werden. „Ein weiteres Nichteinhalten von Rechtsverpflichtungen, ist mit dem NABU nicht zu machen“, so Buschmann. „Im Gegenteil: Es wurde bereits eine Beschwerde vom NABU Niedersachsen an die EU gerichtet wegen des dramatischen Rückgangs von Wiesenvögeln selbst in den extra für den Schutz dieser Arten ausgewiesenen Vogelschutzgebieten. Obwohl die Landesregierung weiß, welche Maßnahmen zu ergreifen wären, setzt sie diese bisher in zu geringem Maße um. Noch nicht einmal ein Wiesenvogelschutzprogramm erarbeitet die Landesregierung, obwohl ein solches im Koalitionsprogramm als Ziel formuliert ist.“
Der NABU weist bereits seit Jahren auf diese Missstände und die hohen finanziellen Risiken hin, die mit einer zögerlichen Umsetzung von Natura 2000 verbunden sind. Auch unter Rot-Grün hat man sich nicht mit Ruhm bekleckert. Spätestens bis 2014 hätte man die FFH-Gebiete in nationales Recht umsetzen müssen. Da dies nicht erfolgte und Niedersachsen bewusst gegen die Gesetze verstieß, hat die EU folgerichtig ein Vertragsverletzungsverfahren ins Leben gerufen. Anstatt sofort massiv in den Naturschutz zu investieren, vereinbarte man mit den Landkreisen bis Ende 2018 alle FFH-Gebiete in nationales Recht zu überführen und bis 2020 alle Managementpläne zu erstellen. Auch dieses Ziel wurde von Niedersachsen verfehlt.
Damit stellt Niedersachsen weiterhin das Schlusslicht beim Naturschutz aller Bundesländer darstellt. Eine kaum mehr zu vermeidenden Klage der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Deutschland wird daher insbesondere Niedersachsen treffen.
Der NABU fordert einen sofortigen Masterplan für die Niederungen an Süd- und Mittelradde. Der NABU geht davon aus, dass Niedersachsen nicht nur hier, sondern in vielen weiteren EU-Wiesenvogelgebieten eklatant gegen europäisches Naturschutzrecht verstößt. Mehr →
Info: Was bedeutet Natura 2000?
Die FFH-Richtlinie wurde zusammen mit dem LIFE-Programm, dem einzigen direkten Finanzinstrument der EU für Umwelt- und Naturschutzprojekte, am 21. Mai 1992 von den EU-Mitgliedstaaten zum Schutz der biologischen Vielfalt beschlossen. FFH- und Vogelschutz-Richtlinien sind die Basis des Schutzgebietsnetzes Natura 2000. Sie sind wesentliche Umsetzungsinstrumente der EU-Biodiversitätsstrategie, um den Rückgang der biologischen Vielfalt in Europa einzudämmen. Insgesamt nimmt das Schutzgebietsnetz Natura 2000 mittlerweile ein Fünftel der EU-Landfläche ein und ist damit das größte ökologische Schutzgebietssystem der Welt.
Die FFH- und die Vogelschutzrichtlinie sind das Rückgrat des Naturschutzes in der EU und vor allem in Niedersachsen. Biber, Kranich, Seeadler und viele andere Arten verzeichnen dank ihres EU-weiten Schutzes sogar Bestandszunahmen. Auch für viele Lebensräume, wie Moore und Heidelandschaften wurden Schutzgebiete eingerichtet.
Der NABU und weitere Umweltverbände sehen Europas Naturerbe durch die bestehende Finanznot bedroht. Sie fordern einen EU-Naturschutzfond. So sollen unter anderem Schutz- und Pflegemaßnahmen der Naturschutzgebiete finanziert werden. Mehr →