Im Nest von Saatkrähe und Rauchschwalbe
Webcams im Schlosspark Jever sind auch 2020 auf Sendung
23. März 2020 - Viele Zuschauer*innen haben im vergangenen Jahr am Leben der Saatkrähe Mathilde teilgenommen. Von März bis zum Ende der Brutzeit wurde das Geschehen am Nest live ins Internet übertragen. So wurde manche Sympathie geweckt für die schwarzen Rabenvögel.
Daher möchten die Initiatoren von „Live dabei“ die mit großem Erfolg durchgeführte Aktion auch in diesem Jahr in erweiterter Form präsentieren. Es ist wieder eine Kamera in der Saatkrähenkolonie installiert, um die Saatkrähe beim Brutgeschäft zu beobachten. Ob es sich dabei wieder um Mathilde handelt, können wir leider nicht sicher sagen, da die Vögel nicht markiert und somit nicht individuell erkennbar sind.
Neu in diesem Jahr ist die Webcam über einem Nest der Rauchschwalben, die im Torbogen des Schlossinnenhofes brüten. Sobald die Schwalben aus ihren afrikanischen Überwinterungsgebieten zurückgekehrt sind, wird diese Kamera aktiviert. Deshalb müssen sich neugierige Zuschauer*innen noch ein wenig gedulden - wir erwarten die Schwalben Mitte April. Die Saatkrähen und Mathilde betreiben indessen schon eifrig ihr Brutgeschäft. Auf den Websites der beteiligten Partner sowie auf zwei Bildschirmen (am linken Torhaus und an der linken Seite des Schlosses) lässt sich das Geschehen im Nest verfolgen.
Wer noch einmal einen Blick auf die Entwicklung des letzten Jahres werfen möchte, kann sich den Film „Live dabei: Saatkrähe 'Mathilde' im Schlosspark Jever“ ansehen. Hier hat der Filmemacher Basil Mansour die aufregendsten Momente aus der Brutzeit 2019 zusammengefasst.
Die Saatkrähe: Verfemt, verfolgt
Weil die Krähenvögel früher unterschiedslos in weiten Teilen der Bevölkerung ein schlechtes Image hatten, wurden Saatkrähenkolonien in vielen Fällen zerstört. Auch frühere Ansiedlungsversuche im jeverschen Schlosspark, wo es in den 1950er-Jahren zeitweise eine kleine Kolonie gegeben hatte, gelangen nicht. Grund dafür war, so ein zeitgenössischer Bericht in der lokalen Presse, am 16. März 1957 in aller Frühe ein „leichtes ‚Störfeuer‘ aus den Flinten der jeverschen Jäger“.
Derartige Verfolgungen führten zu einer erheblichen Bestandsreduzierung, die ihr Maximum in Niedersachsen zu Anfang der 1970er-Jahre erreichte und zu einer Einstufung in der Kategorie 1 (= vom Erlöschen bedroht) auf der Roten Liste von 1976 führte. Erst der gesetzliche Schutz durch das Bundesnaturschutzgesetz von 1976 und die Vogelschutzrichtlinie von 1979 führten zu einer zunächst sehr langsamen, dann aber stetig wachsenden Zunahme des Brutbestands, so dass die Art in der jüngsten Roten Liste für Niedersachsen von 2015 ls ‚ungefährdet‘ gilt.
Diese Entwicklung zeigte sich auch in Jever. Nachdem es in der Stadt über mehrere Jahrzehnte keine Saatkrähenkolonie mehr gegeben hatte, erfolgte 1992 eine Neugründung in einem Gehölz am nordöstlichen Stadtrand. Von hier ausgehend wurden in den Folgejahren weitere Standorte in Jever besiedelt: Der Schlosspark ab 1994 und die Wallanlagen ab 1995.
Mittlerweile ist in Jever eine Bestandsgröße gegeben, die in den letzten Jahren 2018 und 2019 ziemlich stabil bei rund 600 Brutpaaren liegt. Über die Hälfte davon, nämlich rund 340 Brutpaare, nisten im Schlosspark, wo die Art relativ ungestört ist. In den übrigen Stadtgebieten fanden in der Vergangenheit mehrfach behördlich genehmigte Vergrämungsaktionen statt (die 2019 seitens der Stadt eingestellt wurden), beispielsweise mit der jeverschen ‚Krähenklatsche‘ die es zu überregionaler Bekanntheit brachte. Zudem griffen einzelne Bürger, die sich durch die Saatkrähen gestört fühlten, auf eigene Initiative zu nicht genehmigten, also illegalen, Vergrämungsmaßnahmen.
Ausräumen von Vorurteilen
Um zur Versachlichung der Diskussionen beizutragen und für eine stärkere Tolerierung der vitalen Vogelart in Friesland zu werben, gaben die WAU (Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Natur- und Umweltschutz, Jever), die NABU Ortsgruppe 'Jever & umzu' sowie der Landkreis Friesland im Frühjahr 2018 zusammen das Info-Faltblatt ‚Leben mit der Saatkrähe‘ heraus. Fortgesetzt wurden diese Bemühungen 2019 mit der Installation der Webcam über einem der Saatkrähen-Nester im Schlosspark.
Die beeindruckenden Filmaufnahmen des letzten Jahres waren geeignet, mit mehreren Missverständnissen aufzuräumen, die bei vielen immer noch verbreitet sind. Verfüttert wurden in der gesamten Brutzeit fast ausschließlich Regenwürmer und Engerlinge; kleine Vogelküken fehlten ganz unter der angebotenen Nahrung. Der bei anderen Rabenvogelarten wie Elster, Eichelhäher und Rabenkrähe durchaus verbreitete Nahrungserwerb durch Nestraub spielt bei der Saatkrähe keine Rolle; die gut dreihundert Paare im Schlosspark stellen keine Bedrohung für die dort lebenden kleineren Singvogelarten oder die Entenküken dar.
Und auch die Sorge, dass die Population von Jahr zu Jahr größer wird, ist eher unbegründet: Von den fünf Eiern, die ‚Mathilde‘ legte, entwickelten sich nur zwei zu flugfähigen Jungen. Und Jungvögel durchlaufen gerade in ihrem ersten Jahr sehr große Lebensrisiken und zeigen eine hohe Jugendmortalität. So regulieren sich die Bestandsgrößen langfristig von selbst; stärkeres Wachstum findet nur in neu gegründeten bzw. recht jungen Kolonien statt.
Mit der Aktion wollen wir auch aufmerksam machen auf den zunehmenden Verlust an Brutplätzen für Schwalben in unseren Siedlungen. Sowohl die Rauchschwalbe als auch die Mehlschwalbe haben sich an den Menschen angeschlossen und brüten in oder an unseren Gebäuden. Wurden sie dort früher als Glücksbringer willkommen geheißen, finden sie heute immer weniger Nistmöglichkeiten und werden immer seltener. Die Rauchschwalbe gilt laut Roter Liste Niedersachsen als im Bestand gefährdet, die Mehlschwalbe steht auf der Vorwarnliste.
Unsere ‚Live dabei‘-Aktion will diesen Tendenzen entgegenwirken und dazu aufrufen, unsere Häuser wieder schwalbenfreundlicher zu gestalten. Hierzu hat der NABU einen „Leifaden für den Schwalbenschutz“ herausgegeben. Darin finden sich viele Tipps und Anregungen, wie jede/r Einzelne dazu beitragen kann, den Schwalben eine Heimat zu bieten.