In diesem Raum wurden die Jungtiere gefunden. - Foto: Bernd Rose
Eine gute Kinderstube
In Hannover leben Menschen- und Fledermauskinder unter einem Dach
23. August 2020 - Oben Wochenstube, unten Kindertagesstätte – funktioniert das? Wir haben bei NABU-Mitglied Bernd Rose, Fledermausexperte und Betreuer der Wochenstube, nachgefragt.
Bis vor einigen Jahren hat es nicht gut funktioniert – zumindest für den Fledermaus-Nachwuchs. Im Frühsommer mussten regelmäßig Polizei und Feuerwehr ausrücken, weil im Turnraum Jungtiere gefunden wurden, oft bereits tot oder stark geschwächt. Fünf, sechs Tage alt, wenige Zentimeter groß, nur ein paar Gramm schwer: Viele Tiere konnten zwar von einer engagierten Tierärztin gerettet werden, aber längst nicht alle. Als Bernd Rose davon erfuhr, war klar: So kann es nicht weitergehen. Bernd Rose ist seit 35 Jahren im Vorstand des NABU Burgdorf-Lehrte-Uetze, und ehrenamtlich als Fledermausregionalbetreuer des NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz) für die Region Hannover tätig.
Gemeinsam mit der Kirchengemeinde, zu der die Kita gehört, und der Kita suchte er nach einer Lösung. Zunächst musste geklärt werden, woher die Fledermäuse stammten. Dachpappen unter Flachdächern sind ein beliebtes Sommerquartier gerade bei den Pipistrellus-Arten. Da lag die Vermutung nahe, dass sich auch in der Kita über den Köpfen der Kinder die Fledermäuse häuslich eingerichtet hatten. Ein Termin mit dem Dachdecker brachte Gewissheit. „Man muss sich das so vorstellen: Ein Flachbau, dessen Dach mit Dachpappe umhüllt und gedämmt ist. Die Fledermäuse sind an der Steinwand durch die Ritzen und in die Zwischenwand hineingekrabbelt. Da die Schallschutzdecke aber Löcher hatte, sind die jungen Fledermäuse dort durchgefallen“, beschreibt Rose die Situation.
Anhand von Spuren, welche die Fledermäuse hinterließen, waren die Ein- und Ausflugstellen leicht zu finden. Die Löcher in der Zwischendecke wurden abgedichtet und das Dach „kindersicher“ gemacht. Allerdings verirrten sich morgens nun gelegentlich Jungtiere in die zum Lüften offenstehenden Fenster. Mit der Unterstützung der Unteren Naturschutzbehörde konnten Fliegengitter angebracht werden und seither gibt es in der Kita keine „Geisterflieger“ mehr. Von den Tieren ging übrigens niemals eine Gefahr für die Gesundheit der Kinder aus. Im Gegenteil: Die Kita hat die Anwesenheit der tierischen Untermieter zum Anlass genommen, den Kindern Wissen über die faszinierenden Nachtjäger zu vermitteln.
Größte Mückenfledermaus-Wochenstube in Niedersachsen
Was die Fledermausfreunde Niedersachsens nach der Entdeckung der Wochenstube nun brennend interessierte, war, wie viele Tiere die Wochenstube umfasste und welche Art hier ihre Jungen aufzog. Mitte Juni werden die Jungtiere flügge. Also legten sich die Artenschützer an einem Juniabend um 21 Uhr mit Zähluhren und Fledermausdetektoren ausgerüstet auf die Lauer.
Bei einer so großen Kolonie gestaltet sich das Zählen gar nicht so einfach: „Man schaut ja die ganze Zeit nach oben, um die ausfliegenden Fledermäuse zu zählen, da kriegt man einen steifen Hals. Wir haben uns dann auf den Boden gelegt und in den Himmel geschaut. Aber dann kamen die Ameisen“, erzählt Rose lachend. Das Zählen erfordert Konzentration, denn es fliegt nicht nur alle paar Sekunden eine Fledermaus hinaus, einige Mütter fliegen überdies mehrmals hin und zurück. Sie locken auf diese Weise ihre Jungtiere, damit diese ihren ersten Flug wagen. „Man erkennt irgendwann am Flugbild, ob es sich um eine Mutter oder ein Jungtier handelt: Das Jungtier zögert immer ein wenig“, erklärt Rose.
Anhand der Frequenz, auf der die Fledermäuse ihre Rufe ausstoßen, lässt sich bei der Gattung Pipistrellus die Art bestimmen. 56 kHz zeigte der Batdetektor, ein eindeutiger Befund: Hier wohnen Mückenfledermäuse. Die Wochenstube in Hannover-Ricklingen teilen die Mückenfledemäuse nicht mit weiteren Arten, wie dies andernorts manchmal vorkommt. Die Zählung brachte ein sensationelles Ergebnis: Beinahe 2000 Tiere! Man hatte die größte bis dahin bekannte Wochenstube von Mückenfledermäusen entdeckt.
„Normalerweise hat man Wochenstuben von 300-500 Tieren“, berichtet Rose. „Eine derart große Zahl war bisher weder unter Fledermausexperten noch dem NLWKN bekannt. Diese Wochenstube ist vermutlich sogar bundesweit die größte.“ Seit mehreren Jahren wird nun im Frühsommer der Fledermausbestand gezählt, und jedes Mal waren über 1500 Tiere versammelt. 2018 wurde sogar den Rekordwert von über 2000 Tieren erreicht. Die Fledermausschützer des NABU Niedersachsen gehen davon aus, dass die Kita den Mückenfledermäusen auch als Winterquartier dient.
Warum sich die Fledermäuse ausgerechnet diesen Standort ausgesucht haben? „Das lässt sich nicht sicher sagen“, so Rose. „Dass die Dämmplatten rings um die Kita verlaufen, spielte sicher eine Rolle, denn so können die Tiere von vorn bis hinten durchwandern. Entscheidend aber dürfte sein, dass die Ricklinger Teiche und der Maschsee in der Nähe sind. Dort finden die Tiere sehr gute Jagdreviere.“ Und so eine Mückenfledermaus hat einen gesunden Appetit: Zwar ist sie unsere kleinste heimische Fledermausart und wiegt gerade einmal so viel wie ein Stück Schokolade, aber pro Nacht verspeist sie bis zu 3000 Mücken.
Fledermausschützer aus Leidenschaft
Wer nun die Fledermäuse gern einmal mit eigenen Augen sehen möchte, hat im August eigentlich ideale Bedingungen, zumal am letzten Wochenende des Monats traditionell die „Batnight“, die Fledermausnacht, stattfindet. Dieses Jahr hat sich die NABU-Gruppe Burgdorf-Lehrte-Uetze aber schweren Herzens entschlossen, die geplanten Veranstaltungen abzusagen. Man will kein Risiko wegen der Corona-Epidemie eingehen. Grund dafür ist der erwartete Besucheransturm. „Zu den Fledermausführungen kamen in den letzten Jahren immer mehr Menschen, bis zu 100, was fast schon zu viel ist“, so Rose.
Dennoch freut ihn das verstärkte Interesse an den Fledermäuse, hat er doch selbst durch eine Fledermausführung das Thema vor zwanzig Jahren für sich entdeckt. Nun bietet er sechs Mal im Jahr selbst Führungen an. „Mir macht es einfach Spaß, Wissen zu vermitteln und das Positive in die Bevölkerung hineinzutragen“, sagt der gelernte Industriekaufmann, der inzwischen über 55 Winterquartiere für Fledermäuse geschaffen hat. Neben seiner Tätigkeit als Fledermausregionalbetreuer hält er Vorträge und die ein oder andere Fledermaus hat er auch schon selbst aufgepäppelt.
Ein besonderes Highlight seiner Tätigkeit im Ehrenamt ist für ihn die Zusammenarbeit mit mehreren Kindertagesstätte, erzählt er zum Abschluss unseres Gesprächs. Im Juli besucht er mit diesen Kindern immer ein Fledermaus-Winterquartier, das zu diesem Zeitpunkt aber keine winterschlafenden Fledermäuse beherbergt. „Es ist an diesem Ort ganz dunkel, die Kinder dürfen ihre Taschenlampen mitbringen, wir bewegen uns in dieser besonderen Umgebung und ich erzähle ihnen dann vom Leben der Fledermäuse. Die Kinder sind davon immer sehr begeistert und zum Dank bekomme ich viele selbstgemalte Bilder von Fledermäusen geschenkt. Das ist der Dank, der meine ehrenamtliche Tätigkeit am schönsten entlohnt.“
Sobald es wieder möglich ist, will der NABU der Kita Ricklingen die Plakette „Fledermausfreundliches Haus“ verleihen.
Wissenswertes über die Mückenfledermaus-Wochenstube
Ab Anfang Mai bildet sich die Wochenstube, der Nachwuchs wird hier zur Welt gebracht und großgezogen. Nach vier Wochen, im Juli, löst sich die Wochenstube auf und die Jungtiere sind versiert genug, um allein auf Nahrungssuche gehen zu können. An die Wochenstubenzeit schließt sich ab August bis in den Dezember hinein, die Paarungszeit der Fledermäuse an. Dann locken die fittesten Männchen mit ihrem Gesang die Weibchen an. Ein Männchen kann bis zu 20 Fledermausweibchen in seinem Harem begatten. Und viele dieser Weibchen suchen sich in den nächsten Nächten wieder andere Männchen. Denn es geht hier nur um die Erhaltung und Fortpflanzung der stärksten Gene.
Die Paarungszeit wird auch teilweise in den Winterquartieren fortgesetzt. Die Fledermäuse finden im Winter, wie der Igel, keine Nahrung und leben dann nur von ihren Fettreserven, die sie sich im Sommer anfressen müssen. Wird der Winter zu lang und die Fettreserven sind aufgebraucht, verhungern viele Fledermäuse. Nur die stärksten Tiere überleben. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Tiere in ihren Höhlen, Eiskellern oder Bunkern nicht gestört werden. Denn sonst werden lebensnotwendige Fettreserven zu schnell aufgebraucht und die Tiere verhungern.
Sollten Sie Kenntnisse von Fledermaus-Sommer- oder -Winterquartieren haben, wenden Sie sich an den NABU Niedersachsen unter: 0511-91105-13 oder bewerben sich für eine Plakette "Hier sind Fledermäuse willkommen"