Verbandsklagerecht - FAQ
Im Namen der Natur
Was ist eine Verbandsklage?
Eine Verbandsklage gibt Umweltverbänden und -vereinen die Möglichkeit, Entscheidungen in Umweltangelegenheiten vor dem Verwaltungsgericht auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen. Voraussetzung für die Wahrnehmung des Klagerechts ist, dass es sich bei dem jeweiligen Verband um eine „anerkannte Naturschutzvereinigung“ handelt.
Warum ist die Verbandsklage notwendig?
Für die Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage ist es erforderlich, dass derjenige, der die Klage einlegt, „klagebefugt“ ist. Das ist im Grundsatz der Fall, wenn er geltend machen kann, durch die angefochtene Entscheidung „in eigenen Rechten“ verletzt zu sein.
Problem: Wirkt sich eine behördliche Entscheidung negativ auf Natur- und Umwelt aus, sind Umweltverbände durch diese in der Regel nicht „in eigenen Rechten“ verletzt und demnach auch nicht klagebefugt. Die von der Entscheidung negativ betroffene Natur kann mangels Rechtsfähigkeit ebenfalls nicht gegen diese vorgehen.
Lösung für diese Situation ist die Verbandsklage, welche den Umweltverbänden die Möglichkeit gibt, in Umweltangelegenheiten Klagen vor dem Verwaltungsgericht zu erheben, ohne „in eigenen Rechten“ betroffen zu sein.
Wo befindet sich die Anspruchsgrundlage?
Die Anspruchsgrundlagen für die Umweltverbandsklage sind geregelt in § 64 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), § 2 Umwelt-Rechtsbehelfgesetz (UmwRG) sowie in den entsprechenden landesrechtlichen Regelungen. Auf EU-Ebene ist die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie einschlägig, die die von allen Mitgliedsstaaten unterzeichnete Aarhus-Konvention umsetzt. Letztere wurde im Juni 1998 von den Staaten der europäischen Region beschlossen, um die Beteiligungsrechte der Zivilgesellschaft in Angelegenheiten des Umweltschutzes zu stärken.
Gegen welche Entscheidungen können Umweltverbände im Rahmen der Verbandsklage vorgehen?
Dies ist in § 1 Abs. 1 UmwRG geregelt. Die Vorschrift erfasst beispielsweise die Zulassung von Industrieanlagen, von Anlagen zur Abfallverbrennung oder Energieerzeugung, wasserrechtliche Erlaubnisse oder große Infrastrukturvorhaben, für die regelmäßig eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Darüber hinaus können Entscheidungen über die Annahme von Plänen und Programmen und Verwaltungsakte über Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen Gegenstand einer Umweltverbandsklage sein. Dies sind nur einige Beispiele.
Wer ist an einer Umweltverbandsklage beteiligt?
Auf Klägerseite stehen die jeweiligen Umweltverbände. Bei Verfahren auf Landesebene ist es der Landesverband; bei Konflikten von bundesweiter Bedeutung ist es der Bundesverband.
Im konkreten Fall entscheidet der NABU-Landesvorstand, nach rechtlicher Beratung durch eine Anwaltskanzlei, über die Erhebung einer Klage und erteilt dieser im positiven Fall sodann die Prozessvollmacht. NABU-Vertreter, Rechtsanwälte und beauftragte Gutachter begleiten das Verfahren bis zum Abschluss.
Auf Beklagtenseite steht die Behörde, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat.
Instanzenzug: Welches Gericht ist zuständig?
Im Grundsatz ist vor Klageerhebung bei Gericht zunächst ein Widerspruch bei der Behörde einzulegen, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Damit soll der Behörde die Möglichkeit gegeben werden, ihre Entscheidung noch einmal auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.
In Niedersachsen wurde das Widerspruchsverfahren in vielen Rechtsgebieten jedoch abgeschafft, sodass häufig direkt Klage beim Verwaltungsgericht erhoben werden kann. Nur noch in besonderen, gesetzlich geregelten Fällen muss der Klageerhebung ein Widerspruchsverfahren vorausgehen.
Wenn der Widerspruch negativ beschieden wird, kann Klage erhoben werden, und zwar in der Regel beim Verwaltungsgericht (VG). Wird gegen dessen Urteil Berufung eingelegt, entscheidet hierüber das Oberverwaltungsgericht (OVG). Dagegen kann wiederum bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen Revision beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) eingelegt werden.
In einigen gesetzlich geregelten Fällen, etwa bei bestimmten großen Infrastrukturmaßnahmen, wird die Klage direkt beim OVG oder sogar beim BVerwG erhoben. Bei Fragen, die das Europarecht berühren, kann bzw. muss ein Gericht den Europäischen Gerichtshof in die Auslegung von europarechtlichen Bestimmungen einbeziehen.
Wie lange dauert ein Klageverfahren?
Eine verwaltungsgerichtliches Verfahren in der Hauptsache (Klageverfahren) kann mehrere Jahre dauern. Haben Klage und Widerspruch jedoch keine aufschiebende Wirkung und muss daher durch eine zügige Entscheidung, beispielsweise ein Baustopp, erwirkt werden, so ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu stellen. In diesem Eilverfahren ergeht je nach Fall innerhalb weniger Tage bis Monate eine Entscheidung in Form eines Beschlusses. Eine solche Entscheidung ist jedoch nicht von endgültiger, sondern nur von vorübergehender Natur, konkret: bis eine Entscheidung in dem parallellaufenden Hauptsacheverfahren vorliegt. Im Eilverfahren erfolgt im Rahmen einer „summarischen“ bzw. oberflächlichen Prüfung, wie die Entscheidung im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach ausfallen wird. Hat die Klage aller Voraussicht nach Erfolg, ruhen die Arbeiten bis zum entsprechenden Urteil.
Was kostet eine Verbandsklage und wer trägt diese Kosten?
Die Kosten hängen immer von der Komplexität des Falles ab und können nicht pauschal beziffert werden. Sie sind in jedem Fall so hoch, dass eine Klage nicht ohne Anlass nur „aus Lust am Klagen“ geführt wird.
So fallen zunächst Gerichtskosten an, die mit Einreichung der Klage vom Kläger an das Gericht gezahlt werden müssen, damit dieses überhaupt tätig wird. Darüber hinaus fallen außergerichtliche Kosten in Form von Rechtsanwaltskosten an. Diese werden in der Regel nach einer Honorarvereinbarung bemessen. Häufig kommen noch Kosten für einen Gutachter hinzu.
Im Grundsatz gilt: Wer verliert, trägt die Kosten, und zwar alle, auch die der Gegenseite, § 154 Abs. 1 VwGO. Dieses erhebliche finanzielle Risiko muss sich ein Naturschutzverband immer bewusst sein.
Selbst wenn die Klage erfolgreich ist, bekommt der Kläger seine Rechtsanwaltskosten nur in Höhe der gesetzlichen Gebühren erstattet. Tatsächlich sind die Rechtsanwaltskosten aufgrund der Honorarvereinbarung aber deutlich höher. Die Differenz zahlt der Verband selbst.
Gewinnt der Kläger teilweise, werden die Verfahrenskosten entweder verhältnismäßig geteilt oder gegeneinander aufgehoben, § 155 Abs. 1 VwGO.
Können Umweltverbände mit einem Klageverfahren alles verhindern?
Von Gegnern der Verbandsklage wird immer wieder der Vorwurf der Blockadehaltung erhoben. Das Verbandsklagerecht eröffnet den Naturschutzverbänden jedoch kein Vetorecht gegen Planungsvorhaben! Keineswegs können sie jedes unliebsame Vorhaben willkürlich verhindern. Die Klage eines Naturschutzverbandes hat nur dann Erfolg, wenn das genehmigte Vorhaben rechtswidrig ist, das heißt, keine gesetzliche Grundlage für das Vorhaben vorliegt, deren Voraussetzungen nicht erfüllt sind und/oder das Vorhaben unverhältnismäßig, also in einer Interessenabwägung nachrangig, ist. Hat eine Klage Erfolg, bedeutet dies also, dass die behördliche Entscheidung gegen geltendes Recht verstößt, und zwar in essenzieller Hinsicht, da kleine Fehler unter Umständen noch „geheilt“ werden können.
Wird daraufhin eingefordert, das Verbandsklagerecht einzuschränken oder gar abzuschaffen, bedeutet dies, Natur und Umwelt gegenüber allen anderen Interessen abzuwerten und deren Belange aufzugeben. Da wir Menschen jedoch auf eine intakte Umwelt angewiesen sind, würden wir damit unsere eigene Lebensgrundlage zerstören. Es ist also in jedermanns Interesse, das Verbandsklagerecht aufrechtzuerhalten.
Zu beachten ist außerdem, dass die Entscheidung zur Einführung von Verbandsklagen im Umweltrecht auf einer völker- und europarechtlich abgesicherten und von allen Staaten unterzeichneten Grundlage beruht. Wer in Deutschland anlässlich siegreicher Verbandsklagen kurzerhand deren Abschaffung fordert, missachtet diesen europaweiten und völkerrechtlichen Konsens.
Abschließend ist auch zu berücksichtigen, dass im Laufe eines Verfahrens häufig noch gemeinsame Lösungen in Form eines Vergleiches gefunden werden können und ein Vorhaben sodann nicht verhindert, vielmehr aber optimiert wird, indem beispielsweise Eingriffe in die Natur minimiert oder zusätzliche, umfassendere Ausgleichsmaßnahmen zum Schutz der Natur festgelegt werden.
Führt das Verbandsklagerecht zu einer Klageflut und zur Verzögerung von Verwaltungsmaßnahmen?
Nein, ganz im Gegenteil. Das Umweltbundesamt lässt seit 2011 fortlaufend evaluieren, wie sich die Klagetätigkeit der anerkannten Umweltvereinigungen seit Inkrafttreten des UmwRG entwickelt. Eine Klageflut sowie eine damit einhergehende Verzögerung in der verwaltungsrechtlichen Praxis konnten bislang nicht belegt werden. Es hat sich vielmehr gezeigt, dass die Umweltverbände ganz gezielt in nur wenigen aussichtsreichen Fällen vor Gericht ziehen.
Das Instrument der Verbandsklage kann im Idealfall sogar präventiv zur Verfahrensbeschleunigung beitragen, Kosten sparen und Planungssicherheit schaffen. Denn bereits die Möglichkeit der Erhebung der Verbandsklage führt im besten Fall dazu, dass Vorhabenträger und Behörden Umweltbelange von Beginn an besser berücksichtigen, etwa in dem Genehmigungsbehörden eine genauere Sachverhaltsermittlung, beispielsweise durch zusätzliche Gutachten, durchführen oder zusätzliche Auflagen zugunsten des Umweltschutzes anordnen.
Quelle: Umweltbundesamt
Sind die Umweltverbandsklagen eine der Hauptursachen für den stockenden Ausbau der Windenergie?
Nein, sind sie nicht. Eine Auswertung aller Klage gegen Windenergievorhaben für das Jahr 2017 hat ergeben, dass die Vorhaben am häufigsten von betroffenen Nachbarn oder von anderen Windenergie-Betreibern beklagten wurden. Im Zeitraum von 2014 bis 2017 konnten den Umweltverbänden nur bis zu 7 Prozent der Klagen gegen Genehmigungen von Windenergieanlagen zugerechnet werden.
Quelle: Umweltbundesamt