Wo der Bierschnegel Algen raspelt
Mein perfektes Wochenende
07. Juni 2016 - Noch ist es zu hell. Und ein wenig Regen im Vorfeld wäre auch nicht schlecht gewesen. Aber die Temperatur, die stimmt. 14 Grad – so ist es den Bierschnegeln gerade recht. Und auf die haben es Walter Wimmer, Annemarie und Frank Krause abgesehen. Treffpunkt ist um 21 Uhr an der Kirche von Salzgitter-Osterlinde. Hier, im alten Dorfkern, gibt es noch einige naturbelassene Steinmauern mit offenen Fugen, vielen Algen und Flechten. So sehen Bierschnegel-Lieblingsreviere aus.
Schnecken, noch dazu nackte, sind ein Thema, bei dem viele Menschen nur angewidert abwinken.
Nicht so unser Trio. Während Wimmer schon immer ein Faible für Schnecken hat, haben die Krauses erst kürzlich deren Reiz entdeckt. Der Bierschnegel hat es ihnen besonders angetan, obwohl sie eher botanisch interessiert ist und er liebend gerne mit dem Fernglas in der Hand Vögel beobachtet.
Warum aber schlagen sie sich nun Nächte um die Ohren, leuchten mit Taschenlampen in noch so kleine Ritzen, um diese blasse Nacktschnecke mit den putzigen blauen Fühlern aufzuspüren? „Der Bierschnegel ist streng nachtaktiv und gilt bundesweit als vom Aussterben bedroht“, beschreibt Wimmer das, was ihn und seine Freunde, die er über die Arbeit beim Naturschutzbund kennengelernt hat, antreibt. Unterdessen inspiziert der Biologe einen Mauerabschnitt. Überall glitzert es, ein untrügliches Zeichen, dass hier Schnecken unterwegs sind. Aber auch die, die wir suchen?
„2004 sind Bierschnegel erstmals seit 90 Jahren in Einbeck, Alfeld und Lamspringe wieder gefunden worden, danach auch in Goslar. Und im Herbst entdeckten wir sie förmlich im Vorbeigehen an einer Mauer in Greetsiel,“ erzählt Wimmer weiter. So habe sie sich entwickelt, die Idee, die weißen Flecken in der niedersächsischen Bierschnegel-Landkarte zu tilgen. Inzwischen sind ordentlich Punkte dazugekommen. Zwei in Salzgitter, einer in Braunschweig, Gifhorn, Wolfsburg, Wolfenbüttel, Schöningen und in der alten Brauereistadt Königslutter, wo es noch alte löchrig-poröse Ducksteinmauern gibt. In diese trieben die Menschen früher ihre Bierkeller. Annemarie Krause: „Da gab es Bierschnegel in Hülle und Fülle.“
Den Krauses macht das Funzeln mächtig Spaß. So viel, dass sie auch schon mal früh morgens mit Schneckenblick Mauern abwandern. Im Mai ist es dafür allerdings zu hell.
In der Spalte steckt ein Tiger
Zurück nach Osterlinde. Dauernd gibt es Neues zu entdecken. Hier krabbelt eine Spaltenkreuzspinne, die sich mit ihrem flachen Hinterleib gut in Fugen zurückziehen kann, dort ein Weberknecht und eine Hauswinkelspinne. Ein Steinläufer geht vielbeinig auf die Jagd, Ameisen ziehen in Straßen ins Nirgendwo, und auch Ohrenkneifer, Mauer und Kellerasseln haben sich aus der Deckung gewagt. Fledermäuse kreisen über unseren Köpfen, und ich wundere mich, warum uns niemand wegen unseres seltsamen Treibens behelligt. Es ist finster geworden.
„Hier in der Spalte steckt ein wunderschöner Tiger“, ruft Wimmer und zückt sogleich seine Kamera. Tiger steht für Tigerschnegel, ein schön gezeichneter Verwandter des Bierschnegels mit einem ausgesprochen sinnlichen Liebesspiel – aber das ist eine andere Geschichte. Wir treffen in dieser Nacht auch Spanierinnen, kurz für die wegen ihres unersättlichen Hungers auf Salat, Blümchen und Co allseits gefürchtete Spanische Wegschnecke. Und die Mittelmeer-Ackerschnecke bleibt ebenfalls nicht unentdeckt. Nur einer macht sich rar – der Bierschnegel. Das wollen Wimmer und die beiden Krauses nicht auf sich sitzen lassen. Es geht wenige Kilometer weiter nach Salzgitter-Lichtenberg. Eine sichere Bank für das Objekt der Begierde, behaupten die drei. Und richtig: Hier versteckt er sich, der Bierschnegel. Und das gleich siebenfach in einem Loch in einer nicht eben schönen Betonmauer. Die Schneckenjäger sind zufrieden. Auch diese Nacht war eine gute.
Erstveröffentlichung des Textes in der Salzgitter-Zeitung. Verwendung durch den NABU mit freundlicher Genehmigung der Autorin Karen Fröhlich.
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