Rechtswidrige Vorgaben für Schutzgebiete
BUND, Greenpeace und NABU legen Rechtsgutachten vor
9. Mai 2014 – Das ist das Ergebnis eines Rechtsgutachtens, das die Umweltverbände BUND, Greenpeace und NABU in Auftrag gegeben haben. Seit über einem Jahr ist dieser Runderlass weder zurückgezogen noch geändert und blockiert so neue Unterschutzstellungen. Andererseits drängt das Niedersächsische Umweltministerium die Naturschutzbehörden mit Recht, möglichst bald Schutzverordnungen für alle Gebiete des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000 zu erlassen.
Die Umweltverbände sehen auch mit Sorge, dass es mit dem Schutz nicht voran kommt, können aber diese Widersprüchlichkeit nicht verstehen: Vorwärts, rückwärts und abwarten, das fordert das Umweltministerium von den Kreisen und Städten, und zwar alles gleichzeitig.
Nach Richtlinien der EU hätten bis spätestens 2013 alle rund 860.000 Hektar Natura-2000-Flächen in Niedersachsen nach deutschem Recht als Schutzgebiete, insbesondere als Natur- oder Landschaftsschutzgebiete, ausgewiesen werden müssen. Dies ist aber überwiegend noch nicht geschehen, vor allem, weil die alte Landesregierung die Ausweisungen lange gebremst hat. Die Europäische Kommission hat deshalb ein Beschwerdeverfahren gegen Deutschland und damit auch das zuständige Land Niedersachsen eingeleitet. Das Beschwerdeverfahren bezieht sich zunächst auf die FFH-Gebiete, also Schutzgebiete nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, die etwa 70 Prozent der Natura-2000-Flächen ausmachen. Dem Land droht eine Verurteilung mit erheblichen Strafzahlungen. Daraufhin hatte das Niedersächsische Umweltministerium jetzt die Kreise und Städte aufgefordert, bis zum 29. April verbindlich zu berichten, bis wann und in welcher Form die Schutzverordnungen erlassen bzw. an die europäischen Anforderungen angepasst werden.
Eine große Bedeutung im Schutzgebietsnetz haben Wälder. Knapp 40 Prozent der Landfläche in den FFH-Gebieten ist Wald und 292 (rund 75 Prozent) der 385 niedersächsischen FFH-Gebiete enthalten Waldanteile, die besonders geschützt werden sollen. Noch die alte Landesregierung wollte deshalb in einem Runderlass festlegen, welche Verbote in Schutzverordnungen für Natura-2000-Wälder zu erlassen sind. Obwohl sich BUND, Greenpeace und NABU vehement gegen diese Regelungen ausgesprochen und erhebliche rechtliche und fachliche Bedenken geäußert hatten, wurde der Runderlass noch nach der verlorenen Wahl unter dem Titel „Unterschutzstellung von Natura 2000-Gebieten im Wald durch Naturschutzgebietsverordnung“ zusammen mit weiteren damit zusammenhängenden Vorschriften herausgegeben.
Die neue Regierung hatte dann angekündigt, die Vorschrift auf den Prüfstand zu stellen und die Naturschutzbehörden im April 2013 aufgefordert, bis zum Ergebnis der Prüfung keine Schutzverordnungen in Natura-2000-Wäldern zu erlassen, was drei Viertel der FFH-Gebiete betrifft. Gleichzeitig wurde der Runderlass der alten Regierung nicht aufgehoben. Damit verfügen die Naturschutzbehörden über keine Arbeitsgrundlage, um Ihren Aufgaben zeit- und sachgerecht nachzukommen. Vor diesem Hintergrund hatten BUND, Greenpeace und NABU ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, in dem geprüft werden sollte, ob auf Basis des Runderlasses eine Unterschutzstellung im Sinne der Richtlinien möglich ist. Anlass waren auch Überlegungen aus dem Umweltministerium, dass das aus Sicht der Naturschutzverbände bereits völlig unzureichende Schutzniveau des Runderlasses noch weiter abgesenkt werden könnte.
Das Gutachten kommt zum Ergebnis, dass der Runderlass mit europäischem und deutschem Naturschutzrecht unvereinbar ist. Nach der FFH-Richtlinie gilt nämlich für alle FFH-Gebiete ein absolutes Verschlechterungsverbot. Die Schutzverordnungen müssen sicherstellen, dass der Zustand der Lebensräume und Arten, für die das Gebiet ausgewiesen wurde, mindestens gleich bleibt oder sich verbessert. Zum Beispiel steht deshalb in vielen deutschen Naturschutzgebietsverordnungen, dass in einem Wald, der wegen seiner Naturnähe geschützt ist, auch nur Baumarten neu gepflanzt werden dürfen, die von Natur aus hier vorkommen. Nach dem Runderlass dürfen die Naturschutzbehörden solch eine konsequente Regel aber nicht mehr erlassen, sondern es muss immer erlaubt werden, auch einen Anteil von aus Naturschutzsicht problematischen Bäumen neu zu pflanzen, etwa die Douglasie, die vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) als Gefahr für naturnahe Wälder eingestuft wird.
Ähnliches gilt für Regelungen zur Erhaltung von Höhlenbäumen, alten und abgestorbenen Bäumen, zum Schutz vor Befahren des Waldbodens, zum Verbot von Kahlschlägen, Düngung, Kalkung, chemischem Pflanzenschutz und Entwässerung, zu Ausbau und Instandsetzung von Wegen und zu forstlichen Arbeiten in der Brutzeit. In allen Fällen werden Gebote und Verbote, die sich in vielen bestehenden Schutzverordnungen bewährt haben, nicht mehr zugelassen. Vorgeschrieben werden den Naturschutzbehörden stattdessen aufgeweichte Regelungen, die zu Verschlechterungen im Gebiet führen können und deshalb rechtswidrig sind.
Bedenklich ist auch, dass die ohnehin unzureichenden Verbote immer nur für die wertvollsten Parzellen und nicht für das ganze Schutzgebiet gelten dürfen, so dass es innerhalb jedes Schutzgebiets einen undurchschaubaren Flickenteppich von Flächen geben soll, auf denen ganz unterschiedliche Regeln gelten. Es müsste selbstverständlich sein, dass das Land die Kreise und Städte nicht mit einer Vorschrift zwingt, gegen Naturschutzrecht zu verstoßen. Die Anwendung des Runderlasses wäre für das Ziel, unsere wertvollsten Wälder und ihre Arten zu erhalten, ein Desaster.
Es ist kein anderes Bundesland bekannt, in dem Vorgaben für den Naturschutz im Wald gemacht werden, die derartig gegenüber vielen bewährten Schutzverordnungen zurückfallen. BUND, Greenpeace und NABU fühlen sich durch das Gutachten in ihrer Forderung bestätigt, den Runderlass endlich komplett zu überarbeiten. Die Naturschutzbehörden sollen so ein gutes Werkzeug in die Hand bekommen, mit dem sie die europäischen Verpflichtungen umsetzen können. Vorschläge der drei Verbände für einen geeigneten Vorschriftentext liegen seit langem vor. Im nächsten Schritt muss es auf dieser Grundlage finanzielle Anreize für private Waldbesitzer geben, die vorbildlich die geschützten Wälder erhalten.
Download:
Gutachten zur Frage, welche Anforderungen das europäische Naturschutzrecht an die Gestaltung von deutschen Schutzverordnungen zum Schutz von Waldlebensraumtypen im Sinne der FFH-Richtlinie stellt und ob die angekündigte Ausrichtung des Schutzniveaus der niedersächsischen Schutzverordnungen an den Maßstäben der Erhaltungskategorie B diesen Anforderungen gerecht wird. Vorgelegt von Rechtsanwalt Dr. Frank Niederstadt, Hannover. Ein zusammenfassendes Ergebnis finden Sie am Ende des Gutachtens (Pkt. 10).
Natura 2000 im Wald
Umsetzung nicht ausreichend
10. Oktober 2013 - Anlässlich der gestern stattgefundenen Veranstaltung 'Natura 2000 im Wald: Wie geht es weiter mit der Umsetzung?' kritisierte der NABU die Umsetzung des europaweiten Schutzgebietsnetzes Natura 2000 in deutschen Wäldern als unzureichend. „Zwar zählen in Deutschland heute gut 24 Prozent der Waldfläche zum EU-weiten Rettungsnetz für die biologische Vielfalt, doch gerade im Wald existieren diese Gebiete häufig nur auf dem Papier“, so NABU-Präsident Olaf Tschimpke.
In Niedersachsen gehören zwar nur 14 Prozent der Waldfläche zum NATURA-2000-Netz, dennoch finden sich darunter bundesweit besonders bedrohte Waldgesellschaften, wie die Rotbuchenwälder des Tieflandes und reicher Standorte des Weser-Leine-Berglandes sowie die Eichen-Hainbuchenwälder.
Mit der Verabschiedung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) wurde vor 21 Jahren das Natura-2000-Netzwerk geboren. Zusammen mit der Vogelschutz-Richtlinie hat sie zum Ziel, die Lebensräume von Tieren und Pflanzen zu schützen sowie die Situation bedrohter Arten zu verbessern. Dennoch fehlen bis heute in Natura-2000-Gebieten oft die dringend benötigten alten Bäume mit Höhlen und Totholz in ausreichender Menge. Auf sie sind viele der gefährdeten Arten besonders angewiesen. „Damit Natura 2000 in Deutschlands Wäldern endlich entscheidende Erfolge erzielt, brauchen wir präzise, verständliche und mit den Waldbewirtschaftern abgestimmte Managementpläne“, betonte der NABU-Präsident.
Durch das föderale System gehen die Länder sehr unterschiedlich mit der Umsetzung von Natura 2000 um. So hat beispielsweise jedes Land eigene, oft sehr unterschiedliche Schwellenwerte definiert, die festlegen, wann ein Buchenwald als hervorragend oder gut erhalten gilt. „Damit die biologische Vielfalt in unseren Wäldern besser geschützt wird, müssen die Bewertungskriterien für den Erhaltungszustand von Wäldern verbessert und unter den Bundesländern angeglichen werden“, forderte Olaf Tschimpke, NABU-Präsident. Auch die EU-Kommission müsse hier genauer hinschauen.
In Niedersachsen hatte die neue Landesregierung ein viel kritisiertes Erlasspaket der Vorgängerregierung zur Regelung von FFH im Wald zurückgenommen. Dr. Holger Buschmann, NABU-Landesvorsitzender Niedersachsen, erklärte: „Dass Niedersachsen jetzt den Naturschutz im Wald auf neue Füße stellt, ist absolut notwendig. Gute Konzepte liegen auf dem Tisch und die Neuregelung des Wald-Erlasspaketes drängt. Wenn für Waldeigentümer Belastungen entstehen, die über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums und die gute fachliche Praxis hinausgehen, so müssen diese ausgeglichen werden. Dafür ist der geplante Erschwernissausgleich grundsätzlich ein geeignetes Instrument.“