Dramatisches Insektensterben
Politik muss Kurswechsel in der Agrarpolitik einleiten
Alle Studien zum Thema Insektensterben belegen: Das Insektensterben ist Realität und schreitet unaufhaltsam voran. Auch in Niedersachsen ist seit Jahren ein dramatischer Rückgang der Insekten festzustellen. Ein Phänomen, das wohl jeder schon mitbekommen hat: Noch vor wenigen Jahren musste man nach längeren Autofahrten die Scheiben von Insekten säubern. Das ist heutzutage nicht mehr der Fall. Auch von Insekten umschwärmte Straßenlaternen sind heute eher selten zu finden.
Seit der Jahrtausendwende hat sich mit dem Einsatz neuartiger, hochtoxischer Insektengifte in der Landwirtschaft der Rückgang der Insektenarten und -individuen rasant verstärkt. So muss bis heute den Naturschutzbehörden nicht mitgeteilt werden, welche Pestizide in welcher Mischung und Menge auf Ackerflächen innerhalb vieler Schutzgebiete ausgebracht werden.
In der Regel ist die intensive landwirtschaftliche Nutzung im Rahmen der so genannten guten fachlichen Praxis am Rande von Naturschutzgebieten ohne Einschränkung erlaubt. Viele mit Pestiziden behandelte Flächen befinden sich sogar inmitten von Naturschutzgebieten.
Ein Verbot müsste in der jeweiligen Schutzgebietsverordnung eines Gebietes ausgesprochen werden. Das wird aber nur in wenigen Fällen gemacht. Es fehlt also offensichtlich ein ausreichendes Risikomanagement, obwohl dieses nach der aus dem Jahr 2009 stammenden EU-Richtlinie für die "nachhaltige Verwendung von Pestiziden" zur Abwehr negativer Einflüsse auf Schutzgebiete vorgeschrieben ist. Der NABU fordert deshalb die Landesregierung in Niedersachsen, auf sich verstärkt diesem drängendem Thema zu widmen.
Das Insektensterben ist wissenschaftlich belegt
Ein internationales Forscherteam aus den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland veröffentlichte in der Online-Fachzeitschrift PLOS ONE eine Studie, welche die dramatischen Befunde zum Insektenrückgang in Nordwestdeutschland bestätigt. Die Forscher stellten damit die Beobachtungen des Entomologischen Vereins Krefeld auf eine wissenschaftlich abgesicherte Basis.
So ist mit den Biomasseverlusten bei Fluginsekten von 76 bis 81 Prozent seit den 1990er Jahren ein klarer Negativ-Trend erkennbar. Insgesamt wurden in einem Zeitraum von 27 Jahren 63 Standorte in Schutzgebieten unterschiedlichster Lebensräume des Offenlandes überwiegend in Nordwestdeutschland untersucht, wobei sich der Rückgang vor allem im Flachland feststellen ließ.
Die Forderungen des NABU Niedersachsen:
Naturschutz ist in Deutschland Ländersache. Die einzelnen Bundesländer gestalten ihre jeweiligen Ausführungsgesetze des Bundesnaturschutzgesetzes. Aktuell wird dieses Ausführungsgesetz in Niedersachsen überarbeitet. Es wird voraussichtlich keine weitere Verschlechterung, aber auch keine wirkliche Verbesserung geben. Ein Insektenprogramm ist zudem in Bearbeitung, das aber auf Kleinstmaßnahmen setzt, ohne auf die tatsächlichen Ursachen des Artensterbens einzuwirken.
- Der NABU fordert ein Deutsches Zentrum für Biodiversitäts-Monitoring in Trägerschaft von Wissenseinrichtungen sowie den zügigen Aufbau eines bundesweiten Insekten-Monitorings. Als Vorbild für ein bundesweites Insekten-Monitoring könnte NRW dienen, wo 2017 die Beprobung von 100 Standorten angelaufen ist.
- Die aktuelle Veröffentlichung arbeitet heraus, dass die zusätzlich in die statistische Auswertung eingeflossenen Daten zu Veränderungen des Klimas und von Biotopmerkmalen den überwiegenden Teil der Insektenverluste nicht erklären. Hingewiesen wird jedoch auch darauf, dass mangels verfügbarer Daten die potenziellen Einflussfaktoren, so zum Beispiel zur Pestizidbelastung aus direkt umliegender Agrarnutzung nicht berücksichtigt werden konnten, weil die Datenlage nicht transparent ist.
- Damit nimmt der Druck auf die Insektenwelt weiter zu. Insbesondere die weltweit in der Kritik stehenden hochwirksamen Insektengifte aus der Stoffklasse der Neonikotinoide müssen umgehend und vollständig vom Markt genommen werden. Der NABU fordert, die EU- und länderübergreifenden Zulassungsverfahren für derartig toxische Chemikalien dringend zu überarbeiten und dabei zwingend die Wirkungen für typische Ökosysteme realitätsnah in die Prüfverfahren zu integrieren.