Mehr Arbeit, mehr Tiere, weniger Einnahmen
Wie das Corona-Jahr für das NABU-Artenschutzzentrum Leiferde verlief
Ein schwieriges Jahr neigt sich seinem Ende zu. Innovation, Improvisation und Flexibilität war an allen Ecken und Enden gefordert. Wie aber damit umgehen, wenn die Arbeit dafür wenig Spielraum lässt, so wie im NABU-Artenschutzzentrum Leiferde? Beschlagnahmungen finden wie gewohnt statt, Tiere werden angefahren und müssen versorgt werden, Jung- und Wildtiere, die nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft in der Natur zu überleben, müssen aufgepäppelt und – im besten Fall – ausgewildert werden. Und auch die Dauerpfleglinge im Artenschutzzentrum benötigen eine verlässliche ganzjährige Versorgung.
Alles anders, vieles kompliziert
„Die Leute haben entdeckt, welche Schätze sie vor der eigenen Haustür haben, das sehe ich positiv an diesem schwierigen Jahr“, sagt die Leiterin des NABU-Artenschutzzentrums, Bärbel Rogoschik. „Für das Artenschutzzentrum war aber vieles komplizierter, es waren gerade auch viele Kleinigkeiten, die unsere normale Arbeit behinderten.“
Als Beispiel nennt sie die Lebendfutterbestellung: Es musste anders kalkuliert und mit Express bestellt werden, weil die Lieferungen nicht immer so reibungslos wie sonst klappten. Dadurch stiegen die Kosten. Auch die Zusammenarbeit mit den Ämtern gestaltete sich durch die schlechtere Erreichbarkeit, Stichwort Homeoffice, schwieriger. Da die Zoos weitestgehend geschlossen waren, konnten deutlich weniger Tiere an die Tierparks abgegeben werden, für die das Artenschutzzentrum ja meist nur eine Übergangsstation darstellt. „Wir hatten nur fünf Tierabnahmen in diesem Jahr“, sagt Rogoschik.
Das war auch deshalb problematisch, weil die Kapazitäten von Platz und Ressourcen, die im Artenschutzzentrum sowieso schon begrenzt sind, jedes Jahr stärker in Anspruch genommen werden: Die Zahl der Tiere, die gepflegt und versorgt werden müssen, steigt stetig an. „Wir hatten rund 500 Vögel mehr als im Vorjahr“, berichtet die Biologin. „Das betrifft insbesondere Insektenfresser wie Mauersegler, Schwalbe oder Kohlmeise. Der Insektenschwund macht sich inzwischen deutlich bemerkbar. Es ist ein Horror, das mitzuerleben und es ist absehbar, dass das in Zukunft noch schlimmer werden wird.“ Es müsse endlich großflächig etwas passieren, so Rogoschik. Sie appelliert deshalb an alle Bürger*innen, im eigenen Umfeld etwas zu tun: Den Garten von einer Steinwüste zu einer Insekten- und Vogel-Oase umzugestalten, sich in der Gemeinde für Blühstreifen und Grünflächen einzusetzen.
Die Umweltbildung musste ausfallen
Die Umweltbildung liegt dem Team des Artenschutzzentrums sehr am Herzen. Das traditionelle Storchenfest, Führungen, der Kinderclub, die Ferienspaß-Aktionen – fast alles musste abgesagt werden. Von rund 130 Veranstaltungen konnten dieses Jahr nur 10 stattfinden. „Ich bedauere das sehr“, sagt Rogoschik. „Ich wurde oft von Kindern im Dorf angesprochen, wann sie mal wieder zu uns kommen dürften. Die Kinder haben sich ein wenig gelangweilt in den Ferien, weil viele nicht in den Urlaub fahren konnten.“
Ein Besuchermagnet ist das alljährlich im April stattfindende Storchenfest, 5000 Besucher*innen zählt das Artenschutzzentrum normalerweise. Durch die Absage fallen nicht nur Einnahmen weg, es entfällt auch der Kontakt zur Bevölkerung. „Beim Storchenfest stellen die Menschen immer viele Fragen, man erfährt so, wo der Schuh drückt, was die Menschen im Bezug auf die Natur und Umwelt gerade umtreibt“, erzählt Rogoschik. Manch ein Mythos kann dabei ausgeräumt werden und im Gespräch lassen sich Rat und Hilfe geben.
Gerade bei den Themen rund um Haus und Garten ist das auch nötig, denn die Menschen seien weit weg von einem Verständnis für natürliche Prozesse, so Rogoschik. „Inzwischen sind viele Nistkästen mit Kameras ausgestattet. Wir hatten manchmal den Eindruck, dass manche Familie den ganzen Tag vor dem Bildschirm saß und das Brutgeschäft beobachtete. Sobald mal eine Stunde nicht gefüttert wurde, haben sie sich Sorgen gemacht und bei uns angerufen: Sie müssen was tun“, berichtet sie. „Einmal wurde uns ein seltener Vogel gemeldet. Der dürfe hier doch gar nicht sein, so die Anruferin. Es stellte sich dann heraus, dass es sich bei dem Vogel um einen Gimpel handelte. Durchaus kein seltener Vogel, die Frau hatte nur noch nie einen gesehen.“
Ein ebenso typischer Fall ist Oreo. Ein Jungigel, der seinen Namen seinem außergewöhnlichen Aussehen verdankt: weiße Stacheln und schwarze Haut. Er wurde ins Artenschutzzentrum gebracht, als er wenige Wochen alt war, er war untergewichtig und vermeintlich verlassen. „Jungigel sollte man nicht gleich einsammeln“, betont Rogoschik. „Einfach mal aus der Entfernung beobachten und auf die Mutter warten. In den allermeisten Fällen sind die Jungtiere keineswegs ohne elterliche Fürsorge.“
Erfolgreiche Wieder-Auswilderungen
2020 hielt aber auch viele schöne Momente bereit. Für die Leiterin des Artenschutzzentrums waren die Highlights des Jahres die erfolgreiche Wieder-Auswilderungen. Davon gab es einige. Besonders gefreut hat sie, dass zwei Wanderfalken ihrer natürlichen Umgebung zurückgegeben werden konnten. Sie waren aus dem Nest gefallen, das sich auf dem Fernsehturm in Uelzen befindet. „Gerade weibliche Falken, die ein wenig schwerer sind als die Männchen, haben mit dem Flüggewerden zu Beginn manchmal Probleme“, erklärt Rogoschik. „Nachdem wir sie versorgt haben, wollten wir versuchen, sie zu ihren Eltern zurückzubringen. Wir sind also mit der lokalen NABU-Gruppe auf eine Kartoffelhalle in Sichtweite des Fernsehturms geklettert, mit dem Jungvogel in einer Hand. Kaum waren wir oben, ertönte bereits ein Ruf von den Altvögeln vom Turm. Die haben das genau beobachtet und ihre Jungen schließlich von der Halle ‚abgeholt‘. Es ist schön, zu sehen, wie stark die Bindung zwischen Eltern und Jungtieren ist. So etwas mitzuerleben, das ist ein besonderer Moment.“
Ausgewildert werden konnten außerdem zwei Wildkatzen, die von Autos angefahren worden waren. Die eine hatte sich dabei einen offenen Bruch am Bein zugezogen, die andere ein Schädel-Hirn-Trauma. „In beiden Fällen hatten wir uns große Sorgen gemacht, wir haben nicht damit gerechnet, dass die Tiere das überstehen“, erzählt die Leiterin des Artenschutzzentrums. „Wenn eine Wildkatze sich ganz brav verhält, wenn ein Mensch sie versorgt, das ist kein gutes Zeichen. Aber nach mehreren Wochen hatten sich die Kater erholt und konnten in ihre Stammreviere zurückkehren.“
Außergewöhnlich war die Hilfsbereitschaft der Menschen im Jahr 2020: „Wir möchten dafür gern Danke sagen“, betont Rogoschik. „Wir bekamen zahlreiche Kleinspenden. Menschen brachten uns Tierfutter, eine Schubkarre, Werkzeug oder Süßigkeiten für die Mitarbeiter. Nicht zu vergessen, die vielen aufmunternden Worte und der Dank, dass wir trotzdem für Tiernotfälle täglich geöffnet haben. Das war sonst selbstverständlich, jetzt wissen es die Menschen zu schätzen und das streichelt die Seele.“
Auch finanziell ein schwieriges Jahr
Die ausgefallenen Veranstaltungen und die zusätzlichen Kosten haben ein großes Loch in die Bilanz des Artenschutzzentrums gerissen. Zwar konnte mit einer Soforthilfe und Spenden von der Samtgemeinde Leiferde, von Privatleuten und Stiftungen das meiste aufgefangen werden. Dennoch ist bereits jetzt absehbar, dass auch im nächsten Jahr die Auswirkungen der Pandemie finanziell spürbar sein werden. Wer helfen will, kann das auf unterschiedliche Weise tun. „Wir freuen uns über Sachspenden, Geldspenden oder auch die Übernahme einer Tierpatenschaft“, sagt Rogoschik.
An Sachspenden sind gern gesehen: Telefonbücher, die von den Papageien liebend gern zerrupft werden, Katzen- oder Hundefutter, z.B. für die Igel. Beliebt bei den Tieren ist Fisch, auch dieser kann gespendet werden. Ebenso können Flüssigseife, Haushaltsrollen oder Waschmittel gespendet werden. „Falls Sie unsicher sind, ob wir etwas brauchen können, oder wie Sie uns die Spende zukommen lassen können, fragen Sie einfach nach“, bittet Rogoschik. Alte Vogelkäfige oder Terrarien werden nicht benötigt. >>Mehr über Sachspenden
Tierpatenschaften leisten einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Pfleglinge in Leiferde artgerecht und umfassend betreut werden können. Der Patenschaftsbeitrag deckt einen Teil der Futterkosten sowie die tiermedizinische Betreuung für das entsprechende Patentier ab. Tierpatenschaften sind steuerliche absetzbar, die Tierpaten erhalten neben einer Patenschaftsurkunde auch eine Jahreseintrittskarte für das NABU-Artenschutzzentrum. Eine Patenschaft eignet sich auch hervorragend als Weihnachtsgeschenk. In diesem Fall sollte sie aber möglichst bis fünf Tage vor Weihnachten abgeschlossen werden, damit die Urkunde noch rechtzeitig ankommt. >>Mehr über Tierpatenschaften
Außerdem können Sie auch Mitglied im NABU oder im Föderkreis des NABU-Artenschutzzentrums werden.
„Wir hoffen, dass wir diese schwierige Zeit bald überstanden haben und vielleicht im Frühling wieder ein normales Programm anbieten können“, sagt Rogoschik abschließend. „Bleiben Sie gesund!“