Naturschutz und Energiewende sind vereinbar
Umweltminister gefährdet die Akzeptanz für die Windkraft
23. August 2019 - Dr. Holger Buschmann, Landesvorsitzender des NABU Niedersachsen, kritisiert diese Aussage des Ministers aufs Schärfste: „Arten- und Naturschutz in Niedersachsen stehen schon jetzt sehr schlecht dar und benötigen dringend einer Verbesserung und weiterer finanzieller Mittel. Den ohnehin nicht ausreichenden Schutz jetzt weiter einschränken zu wollen, führt alle bisherigen Bemühungen im Arten- und Naturschutz insgesamt ad absurdum“, betont Dr. Buschmann. „Es sollte eigentlich die Aufgabe des Ministers sein, den Klimaschutz und den Arten- und Naturschutz gemeinsam zu denken. Die Energiewende nutzt uns nämlich nichts, wenn wir gleichzeitig unsere Lebensgrundlagen, und dazu gehören die Arten, zerstören.“
Dass dies in Niedersachsen möglich ist, zeigt der unter Rot-Grün gefundene, wissenschaftlich fundierte und einstimmig getragene Kompromiss am Runden Tisch „Energiewende“, an dem alle gesellschaftlich relevanten Gruppen teilgenommen haben. Demnach kann Niedersachsen es in einem Kraftakt schaffen, bis 2050 auf 100 Prozent regenerative Energien umzustellen. Dazu gehören Anstrengungen im Energieeffizienz und -einsparbereich, genauso wie eine Beibehaltung der Biomasse und der Wasserkraft, Windkraftanlagen auf 2,1 Prozent der Landesfläche inklusive Repowering bestehender Anlagen und die Ausschöpfung der Dachflächenpotenziale für Photovoltaik. Nun sagte Umweltminister Lies am Mittwoch, der Windenergieerlass und der Artenschutzleitfaden müssten überarbeitet werden, um den Ausbau der Windenergie in Niedersachsen weiter voranzubringen.
„Dass ausgerechnet der SPD-Minister nun diesen Kompromiss aufkündigt und einseitig auf die Windkraft setzen will, ist sachlich kaum zu verstehen“, zeigt sich Dr. Buschmann erschüttert. Weder habe sich die Landesregierung bisher dafür eingesetzt, die technische Entwicklung für weniger Konflikte mit dem Artenschutz voranzutreiben ofrt sogar Synergien mit dem Naturschutz zu verwirklichen, noch gab es nennenswerte Aktivitäten der Landesregierung zum Ausbau der Photovoltaik auf den Dachflächen Niedersachsens. Darüber hinaus fehlen nennenswerte Aktivitäten, um Niedersachsens Moorböden wieder zu aktiven Kohlenstoffspeichern, zu wachsenden Mooren umzuwandeln, obwohl Moorschutz der für die Gesellschaft günstigste Klimaschutz ist.
Genauso müssten natürlich wachsende Wälder mit einer entsprechend angepassten Nutzung sowie extensiv genutztes Grünland wieder stärker in den Fokus der Politik rücken. Gerade artenreiches Grünland geht aber seit Jahrzehnten in Niedersachsen dramatisch zurück, naturnahe Moore finden sich nur auf rund 5 Prozent der ehemaligen Fläche. Und aktuell wird diskutiert, die in den Wäldern durch den Klimawandel und falscher Waldbaumaßnahmen sterbenden Bäume mit Steuergeldern zu entfernen, statt das tote Holz als Kohlenstoffspeicher und wertvollen Lebensraum vieler Arten im Wald zu belassen.
Zurechtgebogene Argumentation
Seit Ende 2016, mit dem größten Genehmigungsschub für Windkraftanlagen in Niedersachsen aller Zeiten, sind keine Zahlen zur Flächenbelegung mehr zu bekommen. Der NABU hat das Ministerium bereits mehrfach angemahnt, diese Zahlen zu liefern, damit eine Einschätzung der aktuellen Situation überhaupt möglich wird. Es ist bekannt, dass Windkraftanlagen in Niedersachsen zeitweise ausgeschaltet werden müssen, da der produzierte Strom bisher nicht ausreichend gespeichert oder über Netze verteilt werden kann.
Seit 2017 brechen die Zahlen neu beantragter Windkraftanlagen ein, da zu Beginn des Jahres die Änderung des von der Bundesregierung unter Beteiligung der SPD beschlossenen Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) in Kraft getreten ist. Diese wurde unter anderem beschlossen, um die Kosten für den weiteren Zubau von Windkraftanlagen in Grenzen zu halten. „Diesen klaren Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes und der Abnahme der Antragstellungen nun dem Arten- und Naturschutz zuzuschreiben, hat eine ganz besondere Qualität. Hier scheinen der Minister und die Windkraft-Lobby an einem Strang zu ziehen, um partielle Interessen gegen die Interessen der Allgemeinheit mit gezielt zurechtgebogenen Argumenten durchzusetzen. Mit verantwortungsvollem und zielführendem Klimaschutz hat das wenig zu tun, sondern dürfte die Akzeptanz für die Windkraft sogar gefährden“, so der NABU-Landesvorsitzende.
Dem NABU wird darüber hinaus vorgeworfen, durch Klageverfahren Hauptverursacher für das Erliegen des Windkraft-Ausbaus zu sein. Die Zahlen sprechen indes eine andere Sprache: in Niedersachsen gingen vom NABU innerhalb der letzten zehn Jahre elf Klageverfahren (inklusive laufender Klageverfahren) mit 98 betroffenen Windkraftanlagen aus. Dies entspricht bei einem Bestand von aktuell etwa 6.310 Anlagen einem Anteil von insgesamt 1,6 Prozent. Bundesweit belief sich die Zahl der NABU-Klagen in den letzten zehn Jahren auf 44, was sogar nur 0,5 Prozent der für diesen Zeitraum laufenden 9.000 Genehmigungsanträge ausmacht.
Kein Windkraftausbau auf Kosten des Natur- und Artenschutzes
„Es sollte deutlich werden, dass Umweltverbände wie der NABU keinesfalls die Windenergie und damit den Klimaschutz blockieren, der Ausbau der Windkraftanlagen darf aber nicht auf Kosten des Natur- und Artenschutzes gehen“, so Dr. Buschmann. Klageverfahren des NABU gegen Windkraftanlagen beruhen ausschließlich auf klaren Verstößen gegen Natur- und Artenschutzrecht sowie Verfahrensmängel, was durch die Erfolgsquote belegt wird: In Niedersachsen wurde eine Klage abgewiesen, obwohl dem NABU durch das Gericht Recht gegeben wurde, er aber nicht klagebefugt war, fünf Klagen hat der NABU gewonnen oder der Antragsteller hat auf Hinweis des Gerichtes zurückgezogen, ein Vergleich wurde geschlossen und vier Klagen laufen aktuell noch, wobei zwei in Vergleichsverhandlungen sind. (Vergleiche werden vom NABU mit dem Ziel verfolgt, entweder in ganz sensiblen Bereichen einzelne Anlagen auszusparen, den Flächenausgleich dem tatsächlichen Eingriff anzunähern oder Abschaltzeiten für besonders sensible Arten während der Brut- und/oder Zugzeit einzuführen.)
Vögel und Windkraft
Die PROGRESS-Studie aus dem Jahr 2016 belegt, dass Vogelschlag an Windkraftanlagen für manche Arten bestandsgefährdend ist. Insbesondere für den deutschlandweit verbreiteten Mäusebussard belegt die Studie für den norddeutschen Raum eine Rate von 0,48 erschlagenen Mäusebussarden pro Windrad und Jahr. Die unabhängige und bisher umfangreichste wissenschaftliche Studie auf dem Gebiet warnt nicht nur für den Mäusebussard, sondern auch für den Rotmilan, für dessen Erhaltung Deutschland und auch Niedersachsen eine besondere Verantwortung trägt, dass in Deutschland bei weiterem Zubau von Windkraftanlagen nicht mehr genügend Nachwuchs produziert werden kann, um die Verluste an diesen Anlagen auszugleichen.
Fledermäuse und Windkraft
Windräder werden immer wieder zur Todesfalle für Fledermäuse. Hochrechnungen gehen davon aus, dass bis zu 200.000 Tiere jährlich an deutschen Windenergieanlagen verunglücken. Eine Studie des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) zeigt, dass die in Deutschland verunglückten Arten teils von weit her kommen. Bei der Standortwahl von Windkraftanlagen muss auch der Fledermauszug berücksichtigt werden.
Insekten und Windkraft
In einer Studie haben Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Wechselwirkungen von Fluginsekten und Windparks untersucht. Die in der Studie angestellte Modellrechnung kommt zu dem Ergebnis, dass etwa 1.200 Tonnen Fluginsekten pro Jahr durch Windkraftanlagen getötet werden.