Verwirrung statt Winterruhe
Niedersachsens Tier- und Pflanzenwelt leidet unter warmem Herbst
23. November 2023- Die Temperaturschwankungen im Jahresverlauf können die ganze Natur beeinflussen. Die Tier- und Pflanzenwelt in Niedersachsen spürt die Folgen der ungewöhnlichen Temperaturen auf unterschiedlichste Weise. „Weil es in Deutschland warm genug ist und sich viele Zugvögel von Eicheln, Knospen und Kastanien ernähren können, werden einige Zugvogel-Arten nicht mehr in den Süden ziehen“, sagt NABU-Naturschutzreferent Frederik Eggers. Für die Winterschlaf haltenden Säugetiere wie Igel, Fledermäuse oder auch Hirschkäfer kann ein solch mildes Wetter schon zum Problem werden, wenn sich langanhaltende milde Phasen zu häufig mit Kälteeinbrüchen abwechseln. Wichtige Energiereserven werden bei jedem Erwachen aus dem Winterschlaf verbraucht. In diesem Fall kann es sein, dass die angelegten Fettreserven nicht mehr ausreichen, um gut durch den Winter zu kommen
Manche Vögel überwintern in Niedersachsen und haben dadurch im Frühjahr Vorteile: Sie brüten früher und finden die besten Brutplätze. Andere Vögel wie Kiebitz, Feldlerche oder Gartenrotschwanz fliegen weit nach Afrika und müssen sich im Frühjahr beeilen, um noch gute Brutplätze zu finden. Das verändert auch die Situation für Vögel, die schon immer in Niedersachsen geblieben sind. Sie müssen nun stärker um die knappen Ressourcen konkurrieren. Die Folge ist eine Störung der Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Arten und damit ein Verlust an Lebensraum. >> Studie im Fachmagazin "Global Change Biology"
Unterschiedliche Reaktionen der Tierwelt auf Wetterwechsel
Veränderungen im Jahreszyklus sind auch deshalb problematisch, weil sie nicht von allen Tieren in gleicher Weise wahrgenommen werden. „Die Beziehungen zwischen den Lebewesen haben sich über Jahre eingespielt. Sie geraten aus dem Gleichgewicht, wenn z.B. der Igel noch nicht zum Winterschlaf bereit ist, aber keine Nahrungsquelle mehr hat, weil Spinnen und Würmer bereits geschützt in ihren Winterquartieren sitzen“, erklärt Frederik Eggers. So verbrauchen Igel bei der Nahrungssuche wertvolle Energie und können sich eventuell nicht mal genügend Fettreserven anfressen.
Das gilt auch für die Fledermäuse. Sie haben bereits im Sommer unter dem Mangel an Fluginsekten gelitten. Nun sind sie auf konstant kühle Quartiere für ihren Winterschlaf angewiesen. Fledermäuse verbrauchen zu viel Energie für den Stoffwechsel, wenn Höhlen und Spalten zu warm sind.
Auch die Mastjahre kommen in den vergangenen Jahren in immer kürzeren Abständen – Obstbäume beginnen bei höheren Temperaturen früher auszutreiben. Kommt es dann zu einem unerwarteten Kälteeinbruch, erfrieren Knospen, Blüten und Zweige. Dadurch werden nicht nur die Pflanzen geschädigt, sondern es kann auch zu Ertragseinbußen und langfristig zu einer Veränderung der Vegetation kommen. Das häufige Massenfruchten kann die Bäume auszehren und so auf lange Sicht auch zum Problem für unsere Vogelbestände werden.
Im Reich der Insekten sieht es besonders für Wildbienen und Schmetterlinge schlecht aus. Sie konkurrieren mit immer mehr Insekten um die farbenfrohen Blüten und finden so selbst kaum noch Nektar. Zudem verbrauchen sie viel Energie bei der anstrengenden Suche, die sie eigentlich für den Winter brauchen.
Zecken hingegen sind die Gewinner eines wärmeren Herbstes. Sie benötigen eine Lufttemperatur von sieben bis zehn Grad, um aktiv zu werden. Die milden Winter könnten also dafür sorgen, dass der Plagegeist das ganze Jahr über zum Problem wird. Zecken sind Überträger von Krankheiten wie Borreliose und FSME.
Veränderungen der Artenzusammensetzung
„Sollten die Temperaturen auch in den kommenden Monaten über dem langjährigen Durchschnitt liegen, kann sich die Artenzusammensetzung in einigen Gebieten verändern. Somit stellt die Klimakrise neben dem Flächenverbrauch und dem Einsatz von Pestiziden eine große Gefahr für das Vorkommen vieler Tier- und Pflanzenarten dar“, erklärt der Naturschutzreferent. „Es kann sogar sein, dass einige Schutzgebiete, die extra für bestimmte Arten eingerichtet wurden, nicht mehr sinnvoll sind, weil sie dort gar nicht mehr vorkommen.“
Artensterben schlimmer als befürchtet
Auch die Landwirtschaft und damit die Menschen und ihre Lebensgrundlagen sind von den vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels und des damit einhergehenden Artensterbens betroffen. Erst kürzlich wurde eine neue Studie zum aktuellen Stand des weltweiten Artensterbens veröffentlicht. Die neuen Daten zeigen, dass die Zahl der betroffenen Arten etwa doppelt so hoch ist wie in der letzten globalen Bestandsaufnahme des Weltbiodiversitätsrats IPBES 2019 prognostiziert. Demnach ist jede fünfte Tier- und Pflanzenart in Europa in den nächsten Jahrzehnten vom Aussterben bedroht.
Die Politik in Bund und Land ist nun aufgerufen, diese alarmierenden Zahlen und Daten endlich zur Kenntnis zu nehmen und nicht die Natur- und Umweltschutzgesetze weiter auszuhebeln, sondern sie endlich zu stärken. Nur funktionierende Ökosysteme können unsere Lebensgrundlagen langfristig sichern. Die Politik hat die Aufgabe, den Kollaps unserer Ökosysteme zu verhindern, statt ihn weiter zu befördern.
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