Bauen und Wohnen
Wie machen es die Tiere?
Die Vielfalt dieser Bauwerke und die Leistung, der es oftmals zu ihrer Errichtung bedarf, ist so enorm, dass sie ganze Buchserien füllen kann. Allein der Gedanke, dass ganze Hochgebirge von so kleinen und weichen Tieren wie Korallen aufgebaut wurden, ehe sie durch die Bewegung der Kontinente Kilometer weit emporgehoben wurden, ist in ihrer Ausdehnung und Dauer nur schwer vorstellbar. Und noch heute entstehen in tropischen Meeren Korallenriffe, die von Abermillionen winziger Tiere „gemauert“ werden.
An Land sind es zum Beispiel die großen Bauten der Termiten oder die riesigen Gemeinschaftsnester afrikanischer Webervögel, die uns in Staunen versetzen. Doch wir wollen uns hier wie gewohnt der heimischen Natur zuwenden. Auch bei uns finden sich auf Schritt und Tritt tierische Bauwerke, die oftmals nicht so spektakulär sind, aber bei genauer Betrachtung doch zeigen, welche komplexe Leistung in ihnen steckt.
Das Faszinierende bei allen Tierbauten ist, dass sie grundsätzlich aus Naturmaterialen gebaut werden und somit nicht mit Schadstoffen belastet sind, wie unsere Behausungen noch allzu oft. Und während wir mit Alarmanlagen, Kammerjägern, Mausefallen, Insektensprays und vielen anderen oft sehr gesundheitsschädlichen Dingen eifersüchtig darüber wachen, dass unsere Behausung von niemandem außer uns genutzt wird, ist es im Tierreich völlig normal, dass – oftmals viele verschiedene – andere Tiere einen Bau nutzen oder mitnutzen oder als Nachnutzer einziehen.
Die folgenden Beispiele wollen nicht repräsentativ sein und können auch nur einen kleinen Einblick geben. Auf jeden Fall sollen sie aber dazu anregen, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen und – natürlich unter Wahrung des jeweiligen Hausfriedens – die vielfältigen Bauwerke unserer Tiere zu erkunden.
Die größten Bauten in der heimischen Tierwelt errichtet der Biber, der mit seinen langen Dämmen aus Holz und Schlamm ganze Flüsse aufstauen und Seen entstehen lassen kann. Aber es geht auch eine Nummer kleiner: Als Zimmerleute des Waldes werden die Spechte bezeichnet. Sie kommen in mehreren Arten bei uns vor und sind auch wesentlich weiter verbreitet und häufiger als der Biber. Die Spechte tragen ihre Berufsbezeichnung zu Recht, denn sie zimmern ihre Wohn- und Bruthöhlen in Bäumen selbst. Wem es gelingt, sie dabei zu beobachten (ohne zu stören!), der wird beeindruckt sein, was diese kleinen Vögel leisten. Der große Wert besteht aber darin, dass solche Höhlen auch in Bäumen angelegt werden, die noch Jahrzehnte stehen bleiben können. Um Parasiten zu vermeiden, nutzen die Spechte die Bruthöhlen nur eine Saison lang. Danach können verschiedenste Tiere hier einziehen, die auf ausgediente Spechthöhlen angewiesen sind. Die Höhlen kleinerer Arten wie des Buntspechts werden regelmäßig von Singvögeln wie Meisen, Kleibern, Trauerschnäppern und anderen bezogen.
Auch der Vogel des Jahres 2011, der Gartenrotschwanz, ist ein potenzieller Nachmieter. Er ist regional sehr selten geworden und seine Bestände nehmen noch immer anhaltend ab. Als Zugvogel leidet er dreifach: Neben der intensiven Nutzung unserer Wälder, die zu wenig Totholz übrig lässt, hat er mit Lebensraumverlusten sowohl in den Durchzugs- als auch in den Überwinterungsgebieten zu kämpfen. In die Höhlen des etwa krähengroßen Schwarzspechts ziehen Arten wie Hohltaube, Raufußkauz oder – wo sie vorkommt – Schellente ein.
Auch Säugetiere nutzen Spechthöhlen. Je nach Größe und Lage finden wir hier zum Beispiel Gelbhalsmäuse, Siebenschläfer oder auch den Baummarder. Von Gelbhalsmäusen bewohnte Höhlen werden oft bis an die Decke mit Eicheln vollgestopft, die dann als Winternahrung dienen.
Weitere Nachmieter in Spechthöhlen sind soziale Faltenwespen – besonders häufig die Sächsische Wespe. Aber auch die große Hornisse legt hier ihre großen Papiernester an. Auch für Fledermäuse sind Spechthöhlen wichtige Quartiere. Wenn diese später ausfaulen, wird der Wohnraum immer größer. Je nach Art und Lage des Waldes können viele der durchweg bedrohten Fledermausarten in Spechthöhlen gefunden werden, darunter häufigere Arten wie Braunes Langohr und Großer Abendsegler und Fransenfledermaus, aber auch seltene Arten wie etwa die Bechsteinfledermaus. Etwas weniger appetitlich, aber auch von Bedeutung: In zerfallenden Vogel-, Wespen- und anderen Nestern sowie in der (biologisch völlig abbaubaren) Abfallhalde unter Fledermauskolonien leben zahlreiche oft hoch spezialisierte Tiere. Darunter finden wir Arten wie Motten oder Teppichkäfer, die uns später als Schädlinge in unsere Häuser gefolgt sind, aber auch sehr seltene und als bedroht geltende Arten können darunter sein.
Auch zahlreiche Insekten legen Höhlen im Holz an, nur viel kleiner. Das fängt gleich in und unter der Borke an. Hier fressen sich Borkenkäfer und ihre Larven durch den Baum. Jede Art in ihrer speziellen Baumart. Tiefer im Holz und auch in mehr oder weniger morschen Stubben leben die Larven zahlreicher anderer Käfer und weiterer Insekten. Auch ihre Gänge werden noch anderweitig genutzt, zum Beispiel von anderen Käfern und auch manchen Spinnen. Wo die Löcher nach außen münden, sind sie ganz wichtig für zahlreiche bei uns vorkommende Wildbienen, die in den Röhren ihren Nachwuchs aufziehen. So verschieden wie diese Hautflügler sind, so sind auch die Höhlungen, die sie nutzen. Das können große Löcher mit mehr als zwei Zentimetern Durchmesser sein oder ganz kleine von nur zwei Millimetern Durchmesser. Solche Löcher können wir in der Natur überall beobachten. Oft in großer Dichte finden wir die kleinen Löcher der Pochkäfer-Larven. Nachdem diese von Spechten aufgehackt wurden, die sich die Larven herausholen, können sie besonders gut von winzigen Wildbienen genutzt werden. Im Haus schätzen wir die Pochkäfer weniger, denn ihre Larven, die so genannten Holzwürmer haben schon so manches geliebte Möbelstück durchlöchert.
Doch wir waren bei den Vögeln. Die Baumhöhlen der Spechte sind nur eine von vielen Bauweisen unserer gefiederten Mitbewohner. Daneben gibt es noch die Napfnester, wie sie Finken und andere anlegen, die Kugelnester von Zaunkönig und Schwanzmeise, die hängenden Beutelnester der Beutelmeise, die angeklebten Matschnester der Mehl- und Rauchschwalben, die in Uferabbrüche gegrabenen Brutröhren von Eisvogel und Uferschwalbe und viele andere mehr. Sie alle sind spezielle Bauwerke, die wir beim Spaziergang entdecken können. Zu Eisvogel und Uferschwalbe sei angemerkt, dass diese an unseren begradigten und manchmal sogar kanalisierten Fließgewässern immer weniger natürliche Abbruchkanten finden. Auch hier haben wir noch viel zu tun.
Während die meisten Vögel spezialisierte Nestbauer sind, können manche gar keine Nester selbst bauen. Dazu gehören Falken und Eulen. So brüten Baumfalken und Waldohreulen in ausgedienten Nestern, meistens in solchen von Rabenkrähen oder auch Elstern. Also: Ohne die Nester dieser Rabenvögel hätten solche Arten in unserer Landschaft kaum Nistmöglichkeiten! Ob das alle wissen, die den unsinnigen Abschuss der Rabenvögel fordern und praktizieren?
Dies waren nur ganz wenige Beispiele aus dem „Baumarkt“ der Tiere. Die große Masse haben wir noch gar nicht betrachtet. Wer aufmerksam schaut wird sie aber selbst entdecken, die Löcher der Sandwespen, die Gallen der Eichenschwammgallwespen, die Haufen und Straßen der Ameisen, die Gänge und Höhlen der Schermäuse am Bachufer, die faszinierenden Netze der Spinnen und viele mehr …